Das Motto „Wir sind dran!“ ernst nehmen und anwenden
Welche Rolle spielen die Hochschulen für angewandte Wissenschaften in der Gestaltung einer Zukunft, die den Gedanken der Nachhaltigkeit wirklich ernst meint? Mit dem digitalen Aktionstag am 2. Juni 2021 lieferte die HAW Hamburg Antworten auf diese Frage.
Rund 200 Teilnehmer*innen hatten sich am 2. Juni zu dem Aktionstag Aufklärung 2.0 online an der HAW Hamburg zusammengefunden. Der Tag fand unter dem drängenden Titel und Motto des Buches „Wir sind dran!“ statt, herausgegeben 2018 von Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker und Anders Wijkman für den Club of Rome. Der Titel des Buches spricht junge Menschen direkt an, die an Hochschulen studieren und sich den existentiellen Fragen unserer Zeit in ihrer Fächerwahl angenommen haben: Migration, Klimawandel, Nachhaltigkeit, Energiewende und Digitalisierung.
In vier digitalen Dialogsitzungen präsentierten Studierende und Lehrende ihre im Sommersemester 2021 erarbeiteten Handlungsempfehlungen zur Nachhaltigkeit einer externen Öffentlichkeit wie eingeladenen Expert*innen. Dabei diskutierten die Teilnehmer*innen fächerübergreifend und aus unterschiedlichen Perspektiven und Disziplinen heraus. „Am Ende“, so Hochschulpräsident Prof. Dr. Micha Teuscher, „sollen auch innerhalb der Hochschule Impulse für studentische Initiativen und die wissenschaftliche Arbeit gegeben werden, neue Netzwerke entstehen, Projektideen angestoßen und umgesetzt werden.“
„Ich bin begeistert von der HAW Hamburg und den vier präsentierten, interdisziplinären Arbeitsfeldern mit den vielen guten Ideen der Studierenden.“
„Mit unserem digitalen Aktionstag gestalten wir die gemeinsame wissenschaftliche Diskussion, die über Fächergrenzen hinaus – und in die Zukunft hineinreicht“, resümierte Präsident Prof. Dr. Micha Teuscher zum Abschluss des Aktionstages, der sich für die regen Diskussionsbeiträge bedankte. Der hochschulübergreifende, transdisziplinäre Austausch sei eine Stärke der HAW Hamburg. „Als Hochschule für angewandte Wissenschaften mit Blick auf nachhaltige Lösungen für die Gesellschaft gestalten wir den durch Prof. Weizsäcker angeregten Diskurs zu einer neuen Aufklärung mit.“ Dem stimmte der Keynote-Speaker und Schirmherr der Veranstaltung, Prof. von Weizsäcker, zu: „Ich bin begeistert von der HAW Hamburg und den vier präsentierten, interdisziplinären Arbeitsfeldern mit den vielen guten Ideen der Studierenden.“
Die vier Dialogsitzungen im Kurzporträt
Nachhaltigkeit
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In der englischsprachigen Dialogsitzung zur Nachhaltigkeit ging es um Konsum und den erhöhten Verbrauch von Plastik (gerade in Zeiten von Corona) und deren Auswirkungen auf die Umwelt. Im Fokus standen dabei eine nachhaltige Nutzung von Mund-Nasen-Bedeckungen wie Strategien zur Reduktion von Einwegplastik in deutschen Haushalten. Forscher*innen des Forschungs- und Transferzentrums Nachhaltigkeit und Klimafolgenmanagement, kurz FTZ NK, arbeiten bereits seit 2020 im Rahmen einer durch die Europäische Union geförderten Forschung zu der Frage, wie man herkömmliche Kunststoffe mit sogenannten Bioplastik-Stoffen ersetzen kann. Die konkreten Handlungsempfehlungen richteten die jungen Forscher*innen direkt an die Gesellschaft: Masken sollten nachhaltig genutzt und fachgerecht entsorgt werden; eine Forschung nach Alternativen wie zu kompostierenden Masken (Compostable Face Masks/Henosis Masks) wurde angeregt.
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Migration
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Die Dialogsitzung zu Migration warf die Frage auf, was Hochschulen tun können, um bessere Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen. Wir seien durch unsere historische Vergangenheit der Kolonialisierung und unserer Gegenwart als grundsätzlich ausbeutende Industrienation für die Migration von Menschen aus Entwicklungsländern in der Verantwortung, so der Ausgangspunkt der Diskussion von Studierenden und Mitarbeitenden der Arbeitsstelle Migration. Gerade die HAW Hamburg könne durch eine institutionelle Neustrukturierung zum Beispiel hinsichtlich eines erleichterten Hochschulzugangs für noch mehr die Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit sorgen. Die Handlungsempfehlungen der Studierenden: Migration nicht als Störung, sondern Chance zu begreifen. Dabei wurde vor allem die Vielsprachigkeit an der HAW Hamburg als zu nutzendes Potenzial genannt. Ausländische Studierende könnten zum Beispiel im Rahmen von multilingualen Tutorien eingesetzt werden. Die mitgebrachten Qualifikationen von Menschen mit Fluchthintergrund müssten schneller anerkannt und ihre Integration in das Bildungssystem durch frühzeitige Kompetenzkurse gefördert werden.
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Digitalisierung
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Die Dialogsitzung zu Digitalisierung stellte die Frage, welche digitalen Skills die Fachkräfte von morgen benötigen und wie die HAW Hamburg ihre Studierenden auf diese neue Arbeitswelt vorbereiten kann. Digitalisierung wird an der HAW Hamburg als Querschnittkompetenz begriffen und ist in Lehre und Forschung inhaltlich wie strukturell verankert. Den Rahmen der Diskussion auf dem Aktionstag bot das Lehrprojekt „DigitaleSoA studieren“, das mit ganzem Titel: „Studium Soziale Arbeit trifft Digitalisierung – Evaluation, Herausforderungen und Möglichkeiten der curricularen Verankerung digitaler Kompetenzen“ heißt. Lehrende, Studierende, Praktiker*innen stellten ihre Ideen dazu vor. Eine der Kernaussagen dabei war die Mitbestimmung von Studierenden in Sachen Digitalisierung, die oftmals den Lehrenden darin voraus seien. Bezogen auf die Infrastruktur der HAW Hamburg empfahlen die Panelverantwortlichen, die Ausleihe und Finanzierungsmöglichkeiten von Endgeräten zu ermöglich und die Online-Vernetzung weiter auszubauen. Das Konferenztool ZOOM war, so eine Aussage, eine ad hoc Lösung in der Krise 2020 gewesen. Die Beziehungsarbeit, die die Lehre ja schließlich auch darstellt, sei aber komplex, so dass dafür nach neuen digitalen Tools gesucht werden müsse.
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Energie und Klimawandel
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Die Dialogsitzung zur Energiewende fragte nach dem Energiesystem „Hochschule“. Die HAW Hamburg habe zirka 20.000 Mitglieder, das entspräche ungefähr der Größe einer Kleinstadt. Daher, so die Wissenschaftler*innen, sei die Frage nach einer nachhaltigen Hochschule legitim. Projektauftrag für die Studierenden war die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude wie die der HAW Hamburg. Richtlinie war der Hamburger Klimaplan, der die Klimaziele für die Jahre 2030 und 2050 festlegt mit einer Verringerung der CO2-Emissionen um 55 Prozent. Der Hamburger Klimaplan reicht von Anforderungen an öffentliche Gebäude über Wärmeplanung bis hin zu Pflichten in Bezug auf die Nutzung von erneuerbaren Energien. Die Studierenden formulierten dazu folgende Handlungsempfehlungen, die sie direkt an das Präsidium der HAW Hamburg richteten: besser zugängliche Umweltmanagement-Berichte, Solarenergieanlagen auf den Dächern der Hochschule und in Zukunft ein nachhaltiges Bauen mit umweltfreundlichen Baustoffen. Aber auch Gebäude im Bestand wie der Campus Bergedorf sollten energetisch saniert werden, auch wenn sie in einigen Jahren nicht mehr der HAW Hamburg angehörten. Je eher die Klimaneutralität erreicht werde, desto besser, so das Credo der Studierenden. Der Kanzler der HAW Hamburg, Dr. Wolfgang Flieger, appellierte an die intrinsische Motivation von Hochschulmitgliedern und Studierenden: Gemeinsam könne man viel verändern.
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Sketchnotes der Dialogsitzungen
Hintergrund
Die Buchveröffentlichung „Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen“, herausgegeben von Ernst Ulrich von Weizsäcker und Anders Wijkman (u.a.), war 2018 ein Paukenschlag: Kernthese der insgesamt 32 Autor*innen, versammelt unter dem Dach des Club of Rome: Unsere bisher verfolgten Strategien zur Nachhaltigkeit wie das Pariser Abkommen oder die Agenda 2030 seien nicht wirklich nachhaltig. Eine echte Transformation in die Nachhaltigkeit von Wirtschafts- und Finanzsystemen erreichten wir nur mit einem radikalen Änderungskurs des rationalen Denkens, das der Aufklärung im 18. Jahrhundert entstammt.
Die Aktionstage wurden bei dem Symposium „Wir sind dran: Inspirieren – Reflektieren – Handeln“ anlässlich des 80. Geburtstags von Ernst Ulrich von Weizsäcker ins Leben gerufen. Dessen öffentliche Keynote als Schirmherr der Veranstaltung ist ein zentraler Bestandteil der Aktionstage. In Kooperation mit der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) haben diese unter dem Motto „Wir sind dran“ bislang an vier Hochschulen stattgefunden: Hochschule Emden/Leer, Universität Passau, Hochschule Koblenz sowie Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Texte: Katharina Jeorgakopulos
Graphic Recordings: gabriele-heinzel.com, Grafiken unter cc-by-nc-nd 4.0