Die christliche Bibel ist das meistgedruckte, am häufigsten übersetzte und am weitesten verbreitete Buch der Welt. Paulina Mohr untersuchte das Frauenbild in der Bibel auf sprachlicher Ebene. Dafür durchsuchte sie den Bibeltext der Einheitsübersetzung auf Worte und Wortgruppen, die die Frau in der Bibel beschreiben und charakterisieren. Mithilfe der Programmiersprache basil.js setzte Paulina den Bibeltext des Alten und Neuen Testaments vollständig. Sätze, in denen eine weibliche Personenbeschreibung gefunden wurde, setzte sie in schwarzer Schrift. Alle anderen Sätze erhalten keine Schriftfarbe, sind aber in der gleichen Weise gesetzt. So wird das Verhältnis beider Satzgruppen untereinander deutlich. Die gesuchten Worte sind zusätzlich durch eine Unterstreichung gekennzeichnet. Die technische Komponente – in Form des Scripts – ist der Ausgangspunkt des Projektes und spielt eine grundlegende Rolle.
Begründung der Jury:
„Er verschafft Waisen und Witwen ihr Recht.“ So steht es geschrieben im fünften Buch Mose 10.18. Es ist der einzige Satz auf der sich zufällig öffnenden Doppelseite, ansonsten: schweigende Leere unter dem lebenden Kolumnentitel. Durchs dünne Papier schimmern hier und da einzelne Absätze. Schon ahnt man, dass womöglich das ganze Buch Mose ausgedünnt ist. In der Tat, und – oh Schreck – sogar diese komplette Bibel.
Den in schwarzes Kunstleder eingeschlagenen, flexiblen Einband ziert ein dezentes, golden geprägtes Zeichen: die mehrdeutige Verschmelzung aus dem Gender-Symbol der Venus und dem christlichen Passionskreuz. Das Ergebnis ähnelt der Lebensschleife, dem altägyptischen Kreuz. Nach einem roten Vorsatzpapier leiten rosafarbene Papiere – hier gruppieren sich Frauengestalten zum letzten Abendmahl – zum Inhalt über.
Bei dieser Bibelausgabe handelt sich um ein technisches Experiment. Das Satzprogramm verwandelt dank eines individualisierten Scriptes die Textrohdaten auf Knopfdruck in den fertigen Umbruch. Nur diejenigen Sätze werden gedruckt, die weibliche Personalbegriffe enthalten. Alle anderen Texte werden durch Weißfärbung getilgt. Das quantitativ-automatische Verfahren nimmt diese Kontextbefreiung durchaus in Kauf. Denn nur dadurch wird eines sichtbar, gewissermaßen als Positivzensur: die magere Ausbeute des femininen Extrakts. Das kann ja heiter werden beim nächsten Bibelstechen.
Drei weitere Projekte aus dem Department Design sind auf der Shortlist von 18 gelandet:
Johann Süßebecker
Aus dem Innenleben der Echokammer
Bachelor-Arbeit, betreut von Stefan Stefanescu und Gabriele Basch
Katharina Spegel
Dreihundert nicht bedeutende Zeichen
Bachelor-Arbeit, betreut von Stefan Stefanescu und Anke Haarmann
Juliane Katzer, Kajan Luc
Monuments
Seminararbeit, betreut von Almut Schneider und Annette Schmid