Neue Publikation

Die Gene des Universums

Dr. Peter Möller ist Professor für Physik und Mathematik am Department Informations- und Elektrotechnik der Fakultät Technik und Informatik. Nun erscheint sein Buch “Warum es Leben im Universum gibt“. Darin geht es allerdings um weit mehr als nur Physik. Möller behauptet, wir stünden auf der Schwelle zu einem neuen Weltbild. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

Stehen wir auf der Schwelle zu einem neuen Weltbild? In Prof. Möllers Meinung: eindeutig ja.

Prof. Möller, in Ihrem Buch schreiben Sie, wir würden an der Schwelle zu einem neuen Weltbild stehen. Das klingt nach einer gewagten These.

Früher glaubten die Menschen, die Erde würde im Mittelpunkt des Universums stehen. Heute weiß man: Unsere Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt. Es gibt auch nicht nur einen Planeten, sondern sehr viele. Seit 1905 hat sich darüber hinaus unser Weltbild dramatisch weiterentwickelt. Die spezielle Relativitätstheorie und die allgemeine Relativitätstheorie haben unsere Vorstellung von Raum und Zeit grundlegend verändert. Auch die Quantenmechanik hat unser Weltbild revolutioniert.
Große Veränderungen gab es aber auch in anderen Wissenschaften. Charles Darwin hat 1858 mit seiner biologischen Evolution die Biologie revolutioniert. Der amerikanische Physiker und Mathematiker Lee Smolin wird mit seiner Theorie der kosmischen Evolution auf ähnliche Weise die Physik verändern, davon bin ich überzeugt. In meinen Augen ist das die größte wissenschaftliche Revolution der letzten 100 Jahre.

Was genau ist an Smolins Theorie so revolutionär?

Es gibt über 30 physikalische Konstanten. Zum Beispiel die Lichtgeschwindigkeit oder die Elektronen- oder Protonenmasse. Alle Konstanten haben Werte, die die Entstehung von Leben ermöglichen. Warum das so ist, konnte bisher kein Physiker erklären. Hätten die physikalischen Konstanten nur etwas andere Werte, dann gäbe es kein Leben im Kosmos. Einige Beispiele: Wenn die Masse des Protons nur etwas größer wäre als die des Neutrons, würden die Protonen in Neutronen zerfallen. Dann gäbe es keine Protonen und damit auch keine Atome und auch kein Leben, so wie wir es kennen. Oder nehmen wir das Neutrino, ein ungeladenes Elementarteilchen: Seine Masse ist sehr klein. Warum, weiß kein Mensch. Wären die Neutrinomassen etwas größer, dann gäbe es keine heißen Sterne. Heiße Sterne sind aber für die Entstehung von Leben notwendig.

Ist das alles nur Zufall?

Dass das kein Zufall sein kann, möchte ich mit einem Vergleich verdeutlichen. Wenn Sie 30 mal Lotto spielen und 30 mal 6 Richtige haben – würden Sie sich dann nicht auch wundern?

Das kann kein Zufall sein!

Stimmt, und das gleiche gilt auch für die Konstanten.

Die Werte, die die physikalischen Konstanten haben, sorgen also dafür, dass es überhaupt Leben gibt. Wie kommt nun Smolin ins Spiel?

Smolin behauptet, dass die physikalischen Konstanten gar nicht fest und unveränderlich seien, sondern sich im Gegenteil verändern könnten. Man solle versuchen, die Konstanten aus dem „Entstehen heraus“ zu begreifen. Laut Smolin entstehen diese nämlich auf ähnliche Weise wie das Leben: Wie auch unser Leben sei das Universum durch Selbstorganisation entstanden. Für diesen Prozess spielen Vermehrung, Mutation und Selektion eine wichtige Rolle. Smolin spricht von einer „kosmischen Evolution“.
Die Hauptrolle darin spielen Schwarze Löcher. Immer dann, wenn sich ein Schwarzes Loch bildet, entsteht ein neues Universum. Dabei können sich auch die physikalischen Konstanten verändern. Nur wenn die Werte der Konstanten es erlauben, viele Sternen und viele Schwarze Löcher zu bilden, kann sich das Universum stark vermehren. Universen mit vielen Sternen sind auch die Brutstätte für das Leben. Die Selbstorganisation im Kosmos, die kosmische Evolution, führt zu einer Selbstorganisation des Lebens, also zu einer biologischen Evolution, die auf den gleichen Prinzipien beruht.

Ist die Idee von Smolin eine Theorie? Eine echte Theorie müsste doch überprüfbar sein.

Falls die Theorie von Smolin stimmt, sollten die Werte der physikalischen Konstanten nahe am Optimum liegen, wenn es um die Produktion von Schwarzen Löchern geht. Smolin hat das Verhalten von acht physikalischen Konstanten untersucht und daraus kann man eine Wahrscheinlichkeit von 99,6 Prozent ableiten, dass seine Theorie stimmt. Das ist natürlich kein Beweis, aber zumindest eine Bestätigung seiner Thesen und es macht die Theorie von Smolin wissenschaftlich überprüfbar.

Was sagen andere Wissenschaftler dazu?

Die Thesen in meinem Buch basieren auf den Erkenntnissen von Einstein, Newton, Darwin, Smolin, Hawking, Susskind, Eigen, Haken, Feynman und Penrose und ergeben ein stimmiges Gesamtbild, das unser Universum in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt.

Hat Roger Penrose 2020 nicht den Physiknobelpreis bekommen?

Ja, Penrose ist ein britischer Mathematiker und theoretischer Physiker. Den Nobelpreis hat er für seine Arbeiten zu Schwarzen Löchern bekommen. Er hat mit Stephen Hawking zusammengearbeitet und ist alles andere als ein Spinner.

Was sagt Penrose zu diesem Thema?

Penrose hat sich in seinem Buch „Zyklen der Zeit“ die Frage gestellt, warum es unser Universum gibt. Darauf hat die Wissenschaft nämlich bisher keine befriedigende Erklärung gefunden. Der Anfangszustand des Universums, nämlich die gleichmäßige Materieverteilung kurz nach dem Urknall, ist so extrem unwahrscheinlich, dass es unser Universum eigentlich gar nicht geben sollte. Leonard Susskind hat diesen Sachverhalt mit einem einfachen Vergleich verständlich gemacht. Er hat berechnet, dass die zufällige Entstehung eines menschlichen Gehirns sehr viel wahrscheinlicher ist, als der Anfangszustand unseres Universums. Jedem ist klar, dass ein menschliches Gehirn, unabhängig von seiner Intelligenz, nicht einfach zufällig entstehen kann, sondern das Produkt eines langen Evolutionsprozesses ist. Das bedeutet aber auch, dass unser Universum gar nicht existieren sollte.

Es existiert aber. Wie kann man diesen Widerspruch auflösen?

Falls die Theorie von Lee Smolin stimmt, ist dieses Problem einfach zu lösen: Der Kollaps von einem Stern zu einem Schwarzen Loch erzeugt eine fast gleichmäßige Verteilung von Materie. Da die Entstehung eines Schwarzen Loches der Entstehung eines neuen Universums entspricht, startet das Universum mit einer fast gleichmäßigen Materieverteilung.

Unser hochentwickeltes Universum ist also laut Penrose nicht einfach zufällig entstanden. Unser Universum hat ein Vorgänger-Universum, so wie jede Tochter eine Mutter hat?

Richtig! Universen haben sich wie das Leben entwickelt. Die Gene des Universums entstehen auf ähnliche Weise wie die Gene des Lebens.  Die Vorgänger-Universen – auch Mütter-Universen genannt – geben ihre „Erbinformationen“ an ihre Töchter, also die schwarzen Löcher weiter. In Form von physikalischen Konstanten und Gesetzen. Durch „Mutation“ können sich die physikalischen Konstanten bei der Entstehung von Schwarzen Löchern verändern. Nur wenn die Werte der Konstanten die Bildung von Sternen und auch von Schwarzen Löchern erlauben, kann sich das Universum vermehren. In diesen Universen kann es auch Leben geben, da Sterne eine wichtige Voraussetzung für das Leben sind. Die kosmische Evolution führt zu einer biologischen Evolution, die auf den gleichen Prinzipien beruht: Vermehrung, Mutation und Selektion. Die Welt ist ein zusammenhängendes Ganzes!

Ist das alles nicht sehr spekulativ?

Vieles ist Spekulation! Aber so funktioniert die Wissenschaft. Die Wahrheit fällt nicht vom Himmel, sondern ist das Produkt eines Evolutionsprozesses. Viele Thesen und Theorien stehen im Wettbewerb miteinander. Das Selektionskriterium ist die Übereinstimmung mit dem Experiment. Nur die Theorien überleben, die mit den experimentellen Fakten übereinstimmen. Die anderen Theorien sterben aus. Würde man Spekulationen verbieten, könnten sich die Wissenschaften nicht weiterentwickeln.

Prof. Möller, ich danke Ihnen für das Gespräch.

(Die Fragen stellte Tiziana Hiller)

Am Dienstag, den 30. November um 18 Uhr hält Prof. Möller zum Thema „Warum es Leben im Universum gibt?“ einen Vortrag im NewLivingHome in Hamburg-Lokstedt. Eine Anmeldung ist ab 13.10. möglich. Mehr Informationen zum Vortrag.

Kontakt

Prof. Dr. Peter Möller
Department Informations- und Elektrotechnik
Professor für Physik und Mathematik

Berliner Tor 7
20099 Hamburg
Raum 12.80
T +49 73579-855
peter.moeller (at) haw-hamburg (dot) de

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