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„Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht“ 

Jonas Jost absolvierte 2017 den Studiengang Rettungsingenieurwesen. Hier berichtet er über seinen Einsatz im Katastrophengebiet Rheinland-Pfalz und darüber, wie das Studium ihn darauf vorbereitet hat.

Zwei Männer vom THW im Einsatz bei der Flutkatastrophe 2021

THW-Kräfte sichern Fahrzeuge aus nach der Flutkatastrophe einsturzgefährdeten Gebäuden.

Jonas Jost wirkt etwas müde und angespannt. Gerade kommt er aus seiner Nachschicht. Von 17.00 bis 9.00 Uhr morgens, über zwölf Stunden lang, war er auf den Beinen. Manchmal dauert der Einsatz sogar noch länger. Die Situation im Ahrtal, 15 Kilometer von Köln entfernt, ist schwierig. Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) fielen innerhalb weniger Stunden mehr als 200 Liter Regen pro Quadratmeter, eine Regenmenge, die für die bereits von vorangegangenen Starkregen gesättigten Böden, insbesondere in den Hanglagen, zur Katastrophe wurde.

„Selbst gestandene Kolleg*innen mit Katastropheneinsätzen im Ausland standen sprachlos vor den Trümmern in der Flut“, sagt Jonas Jost, der beim Technischen Hilfswerk (THW) in der  Leitung in Bonn arbeitet. Im Ahrtal ist er für Planung und Koordinierung zuständig. „Man hatte dieses Ausmaß an Zerstörung nicht erwartet. Für Deutschland sind das ungewohnte Bilder.“ 

Verantwortung für das große Ganze
Nach der Ausbildung zum Rettungsassistenten begann Jonas Jost das Studium Rescue Engineering (Rettungsingenieurwesen) an der HAW Hamburg. Seine Motivation fasst er folgendermaßen zusammen: „Ich wollte mehr Verantwortung für das große Ganze. Dafür benötigt man Expertenwissen sowie Führungskompetenz.“ 

Das bundesweit angesehene Bachelor-Studium der HAW Hamburg legt einen Schwerpunkt auf die medizinische Gefahrenabwehr. Aber es spezialisiert auch für viele andere Bereiche. „Ich habe beispielsweise gelernt, Großschadenslagen besser einzuschätzen und weiß, welche Fachexpertin oder Fachexperte und welches Großgerät an welcher Stelle benötigt wird. Diese übergeordnete Perspektive hilft uns bei der Planung.“ Das Studium Rettungsingenieurwesen oder Rescue Engineering biete eine gute Basis und schule die Studierenden für spätere Führungsaufgaben u.a. bei der Feuerwehr, beim THW, der Polizei oder im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).

„Wir bieten unseren Studierenden neben einer fundierten wissenschaftlichen Grundausbildung viele zusätzliche Angebote, um sie bei ihrer Qualifikation zu unterstützen. Ein Beispiel dafür sind die vielen Projekte, die wir mit diversen Partnern in Deutschland durchführen. Die Studierenden können so Praxiserfahrungen in unterschiedlichen Kontexten sammeln“, ergänzt Prof. Dr. Boris Tolg. Er ist der Leiter des Forschungs- und Transferzentrums Medizin, Gesundheit und Technik (FTZ MGT) und Experte für simulierte Übungen mit Massenanfällen von Verletzten im Studiengang Rescue Engineering an der HAW Hamburg.

Hilfe ist nur bis zu einem gewissen Grad möglich
Bei der Krisenbewältigung helfen erfahrene den jüngeren Kolleg*innen, die Erfahrungen vor Ort zu verarbeiten. Dies geschieht gemeinsam im Team der Einsatzkräfte. Mit der zunehmenden Arbeitserfahrung wächst auch der professionelle Umgang mit den Krisen: „Man lernt zu akzeptieren, dass man nur bis zu einem gewissen Grad helfen kann. Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht“, so Jost. „Dennoch ist es befriedigend, überhaupt unterstützen zu können. Dabei ist es unser Ziel, ‚vor die Lage‘ zu kommen, das heißt schneller zu sein und Schlimmeres zu verhindern.“ 

Jost hat seit seinem Einsatz im Leitungs- und Koordinierungstab des THW für die Starkregen-Katastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen seine Familie kaum gesehen. „Dieser Beruf bringt Entbehrungen mit sich, das muss man aushalten können.“ Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass sich eher wenige junge Menschen für diesen Werdegang interessieren. In 2020 musste er spontan nach Beirut, im Hafen hatte es dort eine verheerende Explosion gegeben. „Ich war zwei Wochen kaum erreichbar, erst im Einsatz, dann in Quarantäne“, erzählt er. 

Seiner Einschätzung nach werden nach Katastrophen oft zu früh Schlussfolgerungen gezogen, während die Hilfe noch läuft und eine objektive Bewertung noch nicht möglich ist. Dennoch hat ihn die massive Kritik am Katastrophenschutz auch nachdenklich gemacht: „Natürlich gibt es auch im Katastrophenschutz Verbesserungsbedarf. Aber wir scheinen in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg bzw. insbesondere nach dem Ende des Kalten Krieges eine Art Voll-Kasko-Mentalität aufgebaut zu haben und wähnen uns in absoluter Sicherheit. Leider kann der Staat aber bei einem solchen Ausmaß einer Katastrophe nicht immer sofort alle Folgen lindern. Der Einzelne ist in seiner Verantwortung ebenfalls gefragt. Außerdem lassen sich manche Dinge auch einfach nicht abwenden oder verhindern“, bilanziert er.

„Es ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.“ Die Wetterprognosen zeigten, dass das, was wir jetzt noch als Jahrhundertereignisse bezeichnen, schon bald öfter vorkommen könnte. „Hier ist eine Sensibilisierung und Aufklärung vonnöten.“  

Text: Katharina Jeorgakopulos
 

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