Komplexität der Kundenwünsche und Lieferketten als Herausforderung für KMUs
Die steigende Komplexität der Kundenwünsche und Lieferketten stellen Unternehmen des Handels und der Produktion vor immer größere logistische und planerische Herausforderungen, die in großen Konzernen von ganzen Abteilungen übernommen werden. Ein einfaches Praxisbeispiel: Der Kunde hätte gerne ein rotes Fahrrad, mit zwei Klingeln (eine mit freundlichem Ton, eine für dringlichere Angelegenheiten). Dazu eine Keramikbremse und Schutzbleche aus Karbon. Am besten schon gestern, möglichst günstig, natürlich ganz-und-gar nachhaltig produziert. Die Herausforderungen für das Unternehmen: Wann genau können wir das Fahrrad an den Kunden liefern? Sind genügend Bauteile vorhanden, wenn wir mit der Montage beginnen? Kommt es durch den Lieferausfall der Felgen zu erheblichen Verzögerungen, oder können wir sinnvoll umplanen? Was können wir an unseren Produktionsprozessen verbessern, um ressourcenschonender, schneller und zuverlässiger zu werden?
Unterstützt durch eine Vielzahl von Softwaresystemen werden Bauteile beschafft, Transporte koordiniert, Produktionsprozesse geplant und gesteuert. Bei Ausfällen wird kurzfristig neu geplant, womöglich für Ersatz gesorgt. Durch den Einsatz von Industrie 4.0 werden Maschinen und Abläufe in Echtzeit vernetzt, überwacht und gesteuert.
Aber für die überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen, die klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU), sind diese Technologien selten wirtschaftlich tragbar. In vielen Fällen übersteigen die Investitions- und Betriebskosten den erwarteten Nutzen. Planungen werden deshalb in vielen KMU auf Grundlage ungenauer Informationen und eher nach Pi-Mal-Daumen durchgeführt.
Digitale Prozess-Zwillinge ermöglichen Wiederwendbarkeit und Automatisierung
Genau diese Technologien, die bisher großen Unternehmen vorbehalten waren, auch für KMU nutzbar zu machen, ist das Ziel des Forschungsprojekts „Digital Shadows - Automatisierte Generierung eines Digitalen Zwillings von Produktionssystemen oder -netzwerken“ (DS-EPLA). Hierzu muss der Aufwand bei deren Einführung und im Betrieb minimiert werden. Die Stichworte lauten hier: Wiederverwendbarkeit und Automatisierung.
Um das zu erreichen, werden Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen produzierenden KMU vereint, sodass die entwickelte Lösung auf möglichst viele Unternehmen passt. Das Projekt setzt auf Technologien auf, die in den meisten KMU vorhanden sind: ERP-Systeme (Enterprise-Resource-Planning).
Eine vielversprechende Entwicklung sind die sogenannten digitalen Zwillinge. Hierunter verstehen wir das digitale Abbild eines realen Produktionssystems. Zum Einsatz kommen Simulationsmodelle, die in Echtzeit mit der Realität gekoppelt werden. Diese Technologie unterstützt bei der Planung, Analyse und Optimierung von Produktionsprozessen.
Bisher sind die Modellierung und Simulation von Prozessen größtenteils manuelle Angelegenheiten. Hierzu wird Expertise in der Modellbildung und Simulation sowie der Softwareentwicklung benötigt. Auch Kenntnisse der logistischen Prozesse und Wissen im Bereich der Datenanalyse und Optimierung werden gebraucht. Da dieses Knowhow in den wenigsten KMU vorhanden ist, müssen externe Dienstleister beauftragt werden, die oft individuelle Lösungen mit hohem finanziellem und personellem Aufwand entwickeln.
Ein Großteil der Einführung neuer Softwaresysteme besteht aus der Zusammenführung der unterschiedlichen Datenquellen sowie der Vorbereitung der Daten. Genau hier setzt das Projekt an: Das System wird auf Grundlage des ERP-Systems der Hamburger Software GmbH entwickelt. Hierdurch basiert die Lösung auf einem einheitlichen Datenmodell und ist somit für alle Kunden der HS ohne großen Aufwand nutzbar. Die zu entwickelnden Methodiken und Technologien sind im Anschluss an das Projekt auf andere ERP-Systeme übertragbar, wodurch sich eine Multiplikatorenwirkung ergibt.
Der zweite große Hebel des Projekts sind Gemeinsamkeiten in den Prozessen der KMU. Diese sind entscheidend, damit die Modellierung und Simulation ohne Mehraufwand übertragbar werden und automatisiert ablaufen können.
Hierzu wird eine Schablone, der sogenannte digitale Master entwickelt. Dieser passt auf möglichst viele KMU und wird durch die Daten aus den ERP-Systemen (dem digitalen Schatten) befüllt. Diese Generierung des digitalen Zwillings erfolgt automatisch. Die Kopplung in Echtzeit erlaubt Transparenz und Reaktionsfähigkeit.
KMU können somit genauere Liefertermine vorhersagen, ihr Produktionsprogramm planen, Prozesse analysieren, die Ressourcennutzung optimieren, sowie die Auswirkungen von Ausfällen durchspielen.
Das Business Innovation Lab in Partnerschaft mit der Industrie
Das Projekt wird vom Business Innovation Lab (BIL) der Fakultät Wirtschaft- und Soziales gesteuert. Dieses Forschungs- und Transferzentrum der HAW Hamburg forscht, entwickelt und lehrt auf dem Gebiet der transparenten und reaktiven Produktions- und Logistiksysteme. Am BIL wurden bereits simulationsbasierte Projekte mit großen Unternehmen durchgeführt. Da das BIL auch ein Teil des Mittelstand-Digital Zentrum Hamburg ist, kennen sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen auch bestens mit den Herausforderungen und Gegebenheiten in klein- und mittelständischen Unternehmen aus.
Mit im Boot sind zum einen die HS – Hamburger Software GmbH: Als Entwickler und Anbieter von ERP-Lösungen spezialisiert auf KMU kennt sich die HS bestens mit den Prozessen und der Datenlandschaft in KMU aus. Das Datenmodell der HS dient für dieses Projekt als Grundlage. Die HS nimmt dabei die Sicht der späteren Kunden des Systems ein: Was brauchen KMU wirklich, was ist realistisch machbar? Das entwickelte System wird bei einem Kunden der HS pilotiert.
Ihre Erfahrungen in der Datenanalyse und der simulationsbasierten Planung bringt die LogProIT - logistics processes & IT consulting GmbH ein. Die Logistik-Beratung entwickelt logistische Assistenzsysteme, bisher vor allem für große Unternehmen. Die LogProIT bietet neben der Wartung auch einen umfangreichen Support an.