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Internationale Forschung

Mit internationaler Kompetenz gegen seltene Erkrankung

Mit der im Sommer 2024 verabschiedeten Internationalisierungsstrategie der HAW Hamburg soll auch die grenzüberschreitende Forschung gefördert werden. Ein aktuelles Beispiel, wie gut dies bereits gelingt, ist das Projekt LightCure, das sich mit der Entwicklung einer Therapie der seltenen Erkrankung Kongenitaler Hyperinsulinismus (CHI) befasst.

Porträt Prof Quitmann und Bernhardt

Wir haben mit Prof. Dr. phil. Julia Quitmann, Professorin für angewandte Entwicklungspsychologie am Department Soziale Arbeit, und Taika Bernhardt, Geschäftsführung des CCG, zu internationalen Projekten gesprochen.

Wir haben mit Prof. Dr. phil. Julia Quitmann, Professorin für angewandte Entwicklungspsychologie am Department Soziale Arbeit, zu dem internationalen Forschungsprojekt gesprochen, an dem zehn Institutionen aus fünf Ländern beteiligt sind. Taika Bernhardt, Geschäftsführung des CCG, gibt Einblicke in die internationale Zusammenarbeit im Rahmen des CARPE-Netzwerkes.

Liebe Prof. Julia Quitmann, worum geht es in dem Forschungsprojekt LightCure?
Das Forschungsprojekt LightCure kam durch eine interessante Verkettung von Ereignissen zustande. Nach der Veröffentlichung eines Scoping Reviews über gesundheitsbezogene Lebensqualität und die in der Forschung aktuell eingesetzten Patient-Reported Outcome Measures zur Erfassung der Lebensqualität wurde unser Team von Prof. Dr. Martin Gotthardt vom Radboud University Medical Center in Nijmegen, Niederlande, kontaktiert. Er berichtete uns von der geplanten Antragstellung für ein neues EU-Forschungsprojekt zur Behandlung von Patient*innen mit kongenitalem Hyperinsulinismus, einer seltenen, schwerwiegenden Erkrankung bei Neugeborenen und Säuglingen, die durch eine übermäßige Insulinproduktion schwere Hypoglykämien, einer Absenkung der Blutglukose-Konzentration, und Folgeschäden verursacht.

Das Herzstück des Projekts ist die Entwicklung und Erprobung einer gezielten Photodynamischen Therapie mit dem Wirkstoff EX700DX, einer Kombination aus Exendin-4, einem blutzuckersenkendem Mittel, und einem Photosensibilisator. Diese Substanz bindet sich selektiv an die überfunktionierenden Betazellen. Durch Lichtaktivierung wird Sauerstoff freigesetzt, der die betroffenen Zellen schädigt, ohne eine vollständige Pankreatektomie, also Entfernung der Bauchspeicherdrüse, und deren schwerwiegende Folgen zu erfordern. Damit soll es möglich werden, den Blutzucker auf normale Werte zu stabilisieren und den betroffenen Patient*innen ein normales Leben zu ermöglichen.

Unser Team von der HAW Hamburg hat im LightCure-Projekt eine zentrale Rolle im Bereich der patientenzentrierten Forschung und der Verbesserung der Kommunikation zwischen Ärzt:innen, Patient:innen und deren Familien.

Prof. Dr. phil. Julia Quitmann, Professorin für angewandte Entwicklungspsychologie am Department Soziale Arbeit

Welche Rolle haben Sie in dem Projekt inne?

Unser Team von der HAW Hamburg hat im LightCure-Projekt eine zentrale Rolle im Bereich der patientenzentrierten Forschung und der Verbesserung der Kommunikation zwischen Ärzt*innen, Patient*innen und deren Familien. Wir arbeiten konkret an zwei wesentlichen Komponenten: Erstens entwickeln wir ein Patient-Reported Outcome Measure (PROM), das speziell darauf ausgerichtet ist, die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Patient*innen mit kongenitalem Hyperinsulinismus zu erfassen. Dieses Instrument wird helfen, die subjektiven Erfahrungen der Betroffenen und ihrer Familien systematisch und messbar in die klinische Versorgung einzubringen.

Zweitens erarbeiten wir ein Manual zur partizipativen Entscheidungsfindung (Shared Decision Making), das die aktive Einbindung von Patient*innen und ihren Angehörigen in medizinische Entscheidungen unterstützt. Dieses Manual soll Ärzt:innen praktische Hilfestellungen bieten, um gemeinsam mit den Familien individuelle, informierte Behandlungsentscheidungen zu treffen, die den Bedürfnissen und Werten der Betroffenen entsprechen.

Unsere Rolle umfasst also sowohl die Entwicklung innovativer Instrumente zur Verbesserung der Versorgungsqualität als auch die Förderung einer stärkeren Patient*innenorientierung in der klinischen Praxis. Durch die enge Zusammenarbeit mit internationalen Partner*innen aus unterschiedlichen Disziplinen können wir sicherstellen, dass unsere Ansätze breit anwendbar und auf die Bedürfnisse verschiedener Gesundheitssysteme abgestimmt sind. Wir freuen uns sehr, Teil dieses spannenden Projekts zu sein, das neue Wege im Umgang mit seltenen Erkrankungen eröffnet und die Lebensqualität betroffener Familien nachhaltig verbessern soll.

Die internationale Aufstellung des LightCure-Projekts ist aus unserer Sicht ein entscheidender Erfolgsfaktor – und das in mehrfacher Hinsicht. Gerade bei seltenen Erkrankungen wie dem kongenitalen Hyperinsulinismus ist die Anzahl der betroffenen Patient*innen und damit auch die Zahl der klinischen Fälle, die einzelnen Forscher*innen oder Ärzt*innen zur Verfügung stehen, in einem einzelnen Land oft zu gering, um umfassende Erkenntnisse oder aussagekräftige Studien durchzuführen.

Prof. Dr. phil. Julia Quitmann, Professorin für angewandte Entwicklungspsychologie am Department Soziale Arbeit

Welche Bedeutung hat es aus Ihrer Sicht für den Prozess und gegebenenfalls auch Erfolg des Forschungsprojekt, dass es so international aufgestellt ist?

Die internationale Aufstellung des LightCure-Projekts ist aus unserer Sicht ein entscheidender Erfolgsfaktor – und das in mehrfacher Hinsicht. Gerade bei seltenen Erkrankungen wie dem kongenitalen Hyperinsulinismus ist die Anzahl der betroffenen Patient*innen und damit auch die Zahl der klinischen Fälle, die einzelnen Forscher*innen oder Ärzt*innen zur Verfügung stehen, in einem einzelnen Land oft zu gering, um umfassende Erkenntnisse oder aussagekräftige Studien durchzuführen. Hier schafft der internationale Ansatz einen großen Vorteil: Kliniker*innen und Forscher*innen aus unterschiedlichen Ländern können ihre Erfahrungen bündeln, voneinander lernen und gemeinsam an innovativen Lösungen arbeiten.

Für die Patient*innen und ihre Familien ist der internationale Austausch ebenfalls von großem Wert. Viele von ihnen sind Teil globaler Netzwerke, die den Wissens- und Erfahrungsaustausch fördern. Dies ermöglicht nicht nur den Zugang zu aktuellen Behandlungsoptionen, sondern bietet auch emotionale Unterstützung, was bei der Bewältigung einer chronischen, belastenden Erkrankung sehr wichtig ist.

Darüber hinaus eröffnet die internationale Zusammenarbeit die Chance, vielfältige Perspektiven und fachliche Sichtweisen zu integrieren. Unterschiedliche medizinische, psychologische und kulturelle Ansätze bereichern den wissenschaftlichen Diskurs und tragen dazu bei, wirklich patient*innenzentrierte Lösungen zu entwickeln, die über verschiedene Gesundheitssysteme hinweg anwendbar sind. Letztendlich profitiert die gesamte Versorgungssituation, da durch diesen breit angelegten, internationalen Wissensaustausch nicht nur das Verständnis der Erkrankung wächst, sondern auch die Qualität der Betreuung verbessert wird – immer mit dem Ziel, das Leben der betroffenen Kinder und ihrer Familien so normal und lebenswert wie möglich zu gestalten.

Liebe Taika Bernhardt, Sie haben neben der Geschäftsführung des CCG auch den Co-Lead bei der Special Interest Group (SIG) Health im CARPE-Netzwerk inne. Was zeichnet für Sie die internationale Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich aus?

Internationale Zusammenarbeit hat so viele Vorteile. Auf der einen Seite ist da der Austausch. Insbesondere im Gesundheitswesen ist es spannend, sich mit den unterschiedlichen Gesundheitssystemen zu beschäftigen. Dadurch können sich fürs „heimische“ System ganz neue Fragestellungen ergeben. Und natürlich auch neue Projektideen, die dann Aspekte aus verschiedenen Ländersichten beinhalten können.

Zum anderen bietet das CARPE -Netzwerk aber auch die Chance, durch kollegialen Austausch das eigene Forschungsprojekt noch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. In der SIG Health findet etwa alle drei Monate online ein Netzwerktreffen statt. Bei jedem Termin stellt reihum ein Mitglied einer Partnerhochschule ein Forschungsprojekt vor. Das dabei entstehende Feedback wird immer als sehr hilfreich wahrgenommen und nicht selten kennt jemand jemanden an der eigenen Hochschule, der oder die sich im Nachhinein noch als wertvolle*r Diskussionspartner*in herausstellt.

Und auch für die Studierenden der beteiligten Hochschulen ist die internationale Zusammenarbeit von Vorteil, da sich auch immer wieder Austauschverbindungen oder kooperative Lehrangebote ergeben.

Vernetzung ist in der Forschung essentiell – das sehen wir ja auch in der Arbeit des CCG regelmäßig. Sei es mit Praxispartner: innen oder mit anderen Forschenden. Das CARPE -Netzwerk ist international dafür die ideale Lösung.

Taika Bernhardt, Geschäftsführung des CCG

Was können Sie Kolleg*innen mitgeben, die sich international vernetzen und forschen möchten?

Vernetzung ist in der Forschung essentiell – das sehen wir ja auch in der Arbeit des CCG regelmäßig. Sei es mit Praxispartner: innen oder mit anderen Forschenden. Das CARPE -Netzwerk ist international dafür die ideale Lösung. Durch die Aufteilung in die Special Interest Groups ist es einfach, mit den richtigen Personen in Kontakt zu kommen. Jede Gruppe organisiert sich über die Leads und Co-Leads und die Mitglieder in Teilen selbst, so das sehr fokussiert und individuell gearbeitet werden kann. Für Fragen im Bereich Gesundheit stehe ich da natürlich gerne zur Verfügung und kann nur alle Forschenden mit implizitem oder explizitem Gesundheitsbezug ermuntern, zu einem SIG Health-Treffen dazuzukommen.

Interview: Anke Blacha

Internationale Forschung mit EU-Horizon-Förderung und dem CARPE-Netzwerk

Horizon Europe ist das zentrale Förderprogramm der EU für Forschung und Innovation im Zeitraum 2021 bis 2027 mit einem Budget von 95,5 Milliarden Euro. Es unterstützt den Aufbau einer wissens- und innovationsbasierten Gesellschaft sowie einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und trägt zu einer nachhaltigen Entwicklung bei. Das Projekt LightCure wird im Rahmen des Programms von 2024 bis 2029 mit 8 Mio. Euro gefördert.

CARPE ist das erste Konsortium europäischer Hochschulen für angewandte Wissenschaften und eine strategische Allianz für angewandte Forschung und berufliche Bildung. Jeder Partner arbeitet eng mit kleinen und mittleren Unternehmen sowie mit Industrieunternehmen zusammen und ist sowohl mit lokalen und regionalen Verwaltungseinrichtungen als auch mit öffentlichen Institutionen eng verbunden. Um den Austausch und die Zusammenarbeit zu vertiefen, wurden die folgenden Special Interest Groups (SIGs) zu den verschiedenen Themenbereichen gegründet, beispielsweise Health, Data Science & Artificial Intelligence, Smart Sustainable Cities und Creativity & Culture. Jede SIG wird von einer CARPE Partnerhochschule geleitet. Bei Fragen und weiteren Informationen wenden Sie sich bitte an kathrin.rath (at) haw-hamburg (dot) de. Mehr auch unter: https://carpenetwork.org/about-carpe/work-with-us/

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