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„Weder Kindheit noch Jugend können nachgeholt werden“

Die Kinder- und Jugendexpertin Prof. Dr. Gunda Voigts der HAW Hamburg übt Kritik an Corona-Auflagen für Jugendliche.

Junge Erwachsene mit Mundschutz und mobilen Endgeräten

Studieren in der Corona-Pandemie ist eine besondere Herausforderung.

Die Kinder- und Jugendexpertin Prof. Dr. Gunda Voigts aus dem Department Soziale Arbeit war Anfang Mai in den Pandemieausschuss des Niedersächsischen Landtag geladen. Dort hatte sie scharfe Kritik an den aktuell geltenden Verordnungen für Kinder und Jugendliche geübt: „Junge Menschen brauchen für ein gesundes Aufwachsen Kontakte zu Gleichaltrigen und die Option, ihr Leben außerhalb von Familie gestalten zu können“, so das Credo der Expertin.
 
Die Professorin für Theorie und Praxis der offenen Kinder- und Jugendarbeit hatte sich bereits im Juli vergangenen Jahres an die Öffentlichkeit gewendet. Junge Menschen sollen sich von den Eltern lösen und ihren eigenen Platz in der Gesellschaft finden. Doch mit der Devise „Bleibt zu Hause“ fehle ihnen jegliche Möglichkeit, ihren Weg autonom und gemeinsam mit Gleichaltrigen zu finden. Es helfe da kaum, nur die teilweise Öffnung von Schulen anzubieten. Nun hat die Professorin mit ihrem Appell im Niedersächsischen Landtag nachgelegt. Schulen seien ein Treffpunkt für junge Menschen und dienten nicht nur dem Zweck des Unterrichts. In der Pandemie würden Jugendliche ab 14 Jahren aber wie Erwachsene behandelt. Grundlage ihrer Argumentation ist die Kinderrechtskonvention (KRK), die in Artikel 3, Absatz 1 das „Wohl des Kindes“ wie folgt formuliert: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, […] [ist], das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“
 
Diesem Anspruch, so die Expertin, werde Deutschland seit über einem Jahr aber nicht gerecht. Junge Menschen hätten im Prozess des Heranwachsens drei zentrale Herausforderungen zu bewältigen: Qualifizierung, Verselbständigung, Selbstpositionierung. Um das zu schaffen, benötigten sie Spielräume, die ihnen Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Die aktuelle Pandemieverordnung würde ihnen aber nahezu alle diese Räume nehmen. „Daher braucht es für junge Menschen dringend Perspektiven!“ Dazu würde auch die Ausübung von Sport und die vielfältigen Angebote der Kinder- und Jugendarbeit gehören, denn „für viele jungen Menschen sind sie ein wichtiger Resonanzboden und der Referenzrahmen, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Weder Kindheit noch Jugend können nachgeholt werden.“
 
Zentrale Forderungen von Prof. Voigts an die Politik:
Die Professorin fordert daher, Schulen zu öffnen: Junge Menschen brauchten „Freiräume“, nicht nur „Lernräume“. Das betreffe auch Schulkantinen, Turnhallen, Sportplätze und Schulhöfe. Auch Bildungsgebote wie zum Beispiel von Jugendverbänden, Jugendkulturzentren, Musikschulen sowie die offene Kinder- und Jugendarbeit seien unverzichtbar.
 
Junge Menschen, insbesondere Jugendliche müssten sich ausprobieren können. Das gehe nicht, wenn sie nur in ihrer Kernfamilie oder in ihre stationäre Wohngruppe zurückgeworfen würden. Prof. Voigts hat hier auch die jungen Menschen im Blick, die auf der Straße leben und Unterkünfte benötigen. „Sie benötigen besonders in Pandemiezeiten professionelle Anlaufstellen und sichere Unterkünfte.“
 
Deshalb ihr Plädoyer: Ein gelungenes Pandemiemanagement müsse bei den Kontaktregeln differenzierter hinschauen und jungen Menschen Freiräume ermöglichen. Bei Jugendlichen könnten zum Beispiel die Peergroups mit maximal fünf Personen gesetzt sein und als ein Hausstand gelten. Dazu brauche es einen Plan für den Sommer. „Und ich meine nicht nur die Planung von Unterstützungsangeboten für das Nachholen von Unterrichtsstoff. Ich meine Freiräume, die informelles Lernen und vor allem Peer-Begegnungen, gemeinsames Erleben und Spaß ermöglichen!“

Text: Katharina Jeorgakopulos

Weitere Informationen

Artikel aus dem aktuellen "standpunkt : sozial", dem Magazin des Departments Soziale Arbeit

Meldung der Arbeitsstelle „Eigenständige Jugendpolitik“ des BMFSFJ

Kontakt

Fakultät Wirtschaft und Soziales
Department Soziale Arbeit
Prof. Dr. Gunda Voigts
Professorin für Grundlagen der Wissenschaft und Theorien Sozialer Arbeit
Professorin für Theorie und Praxis der (offenen) Kinder- und Jugendarbeit
T +49 40 428 75-7074
gunda.voigts (at) haw-hamburg (dot) de

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