Der gut besuchte Vortrag fand statt im Rahmen der Hamburger Luft- und Raumfahrtvorträge (AeroLectures.de). Frau Menge trug (wie im Bundestag) ohne Visualisierung nach Manuskript vor. Der Vortrag ging mit Begriffen wie Kerosinsteuer, Luftverkehrssteuer oder Emissionshandel weit über das hinaus, was ansonsten in der eher ingenieurwissenschaftlichen Vortragsreihe diskutiert wird. Die Teilnehmer waren sich einig, dass der Vortrag – voll von Argumenten – im Nachgang am Vortragsmanuskript in Ruhe weiter studiert werden muss. Das Manuskript liegt jetzt vor und darf studiert werden. Nach dem Vortrag gab es ausreichend Gelegenheit zur Diskussion der vorgetragenen Thesen. Der Sturm der Entrüstung blieb aus. Frau Menge erhielt viel Lob für ihre Ausführungen und beantwortete vertiefende Fragen zum Inhalt.
Hier die Kurzfassung des Vortrags:
Fliegen bringt unsere Welt näher zusammen und das ist gut so. Fliegen ist aber auch eine der klimaschädlichsten Arten des Reisens.
Der Traum vom Fliegen hat sich für die Menschheit erfüllt. Nun muss auch der Traum vom klimaneutralen Fliegen wahr werden. Dabei ist zu beachten, dass der Weg aus der Klimakrise bis auf Weiteres nicht mit einer reinen Antriebs- oder Kraftstoffwende zu bewältigen ist. Die Technik wird es nicht richten. Daher: Das Wachstum des Luftverkehrs muss einen Dämpfer bekommen.
Der von Deutschland ausgehende Luftverkehr steht – gemessen an seinen CO2-Emissionen – weltweit an 5. Stelle, nach den USA, China, Großbritannien und Japan. Europa (einschließlich Großbritannien) ist nach den USA und vor China der weltweit zweitgrößte Luftverkehrsemittent.
Aber: Niemand muss heute wirklich Verantwortung für die Gesamtheit seiner Luftverkehrsemissionen übernehmen.
Zu den CO2-Emissionen kommen die inzwischen wohlbekannten Nicht-CO2-Effekte hinzu. Die Klimawirkung der Nicht-CO2-Effekte, die durch die Kerosinverbrennung in großer Höhe entsteht, ist in etwa doppelt so groß, wie die des reinen CO2-Ausstoßes. Die Klimawirkung des Luftverkehrs ist also dreimal so groß, wie die CO2-Effekte allein. Rechnet man all das zusammen, dann liegt die Klimawirkung des von Deutschland ausgehenden Luftverkehrs ungefähr in der gleichen Größenordnung, wie der gesamte deutsche Privat-PkwVerkehr.
Beim deutschen Klimaschutzgesetz geht es wirklich zur Sache. Das Gesetz führt zu handfesten, einklagbaren Konsequenzen. Probleme bekommt der bodengebundene Verkehr, jedoch bleibt der Luftverkehr davon noch weitestgehend unberührt.
Beim Luftfahrtforschungsprogramm (LuFo) ging es aus Kostengründen immer schon um Effizienzsteigerung und Gewichtsreduzierung. Das kam dann nebenbei auch dem Klima zugute. Es muss heute aber klarer benannt werden, an welcher Stelle es sich beim LuFo eher um Wirtschaftsförderung handelt und an welcher Stelle wirklich um kompromisslose Klimaschutzmaßnahmen.
Die Effizienzsteigerungen im Flugzeugbau sind bisher weit davon entfernt, mit dem Verkehrswachstum Schritt zu halten. Regelmäßig stieg der CO2-Ausstoß durch das Verkehrswachstum trotz der Effizienzsteigerungen. Mehr noch: Die Technologie ist schon sehr ausgereift. Es wird daher immer schwieriger, bei konventionellen Flugzeugmustern weitere entscheidende Effizienzgewinne zu erzielen.
Elektrisches und hybrid-elektrisches Fliegen wird auf kleines Fluggerät mit geringen Reichweiten begrenzt bleiben. Adressiert werden damit die Distanzen, die insgesamt nur einen geringen Anteil an den Luftverkehrsemissionen ausmachen und die zugleich am leichtesten durch Verkehr am Boden zu ersetzen sind.
Inlandsflüge stehen verstärkt im Fokus der Umweltverbände, ihr Ruf ist aus Klimaschutzsicht besonders schlecht.
Am Boden ist man in der Regel energieeffizienter unterwegs, als in der Luft.
Lufttaxis müssen sich daran messen lassen, ob sie einen Beitrag zu einer nachhaltigen Mobilitätswende leisten können. Allein aus Kapazitätsgründen und aus Gründen der Energieeffizienz ist das eher nicht der Fall.
Besondere Hoffnungen werden daher auf Flugzeuge gesetzt, die mit Wasserstoff betrieben werden. Airbus setzt in Zusammenhang damit, so ist zu hören, auf eine sehr hohe Förderbereitschaft der staatlichen Anteilseigner. Selbst, wenn solche Flugzeuge zum angekündigten Zeitpunkt (2035) tatsächlich zur Verfügung stehen sollten, dauert die Flottenerneuerung noch Jahrzehnte. Zudem sind keine Wasserstoffflugzeuge für den Langstreckenbereich vorgesehen. Diese Distanzen – wie gesagt – sind derzeit für die Hälfte der Luftverkehrsemissionen verantwortlich. Die Verbrennung von grünem Wasserstoff ist CO2-neutral – wegen der sekundären Klimaeffekte allerdings weit entfernt davon, klimaneutral zu sein.
Die wichtigsten Hersteller von Verkehrsflugzeugen haben in letzter Zeit in allen Marktsegmenten neue oder verbesserte Flugzeugtypen auf den Markt gebracht. Das bedeutet: Der Spielraum für die Integration einer großen Zahl neuer Technologien in neue Produkte vor 2050 ist begrenzt.
Sustainable Aviation Fuels (SAF) sind einerseits Biokraftstoffe (auf Basis von biologischen Rohstoffen) oder Power-to-Liquid (PtL) Treibstoffe aus regenerativen Energien und der Rückgewinnung von CO2. PtL-Treibstoffe haben gegenüber Biokraftstoffen den Vorteil, dass die Diskussion "Teller oder Tank" entfällt. Die Herstellung von grünem Wasserstoff (aus regenerativen Energien) benötigt weniger Energie als die Herstellung von PtL und hat daher noch einmal einen Vorteil. Jedoch müssen für Wasserstoff die Flugzeuge erst noch entwickelt und gebaut werden. Biotreibstoffe können daher eine Übergangslösung sein.
Der Schlüssel für die Herstellung sowohl von CO2-neutralem PtL als auch von Wasserstoff ist Strom aus erneuerbaren Energien. Selten lag es so offen zutage wie jetzt, dass die Nutzungskonkurrenz um erneuerbare Energien auf absehbare Zeit dramatisch bleiben wird. Deshalb ist Energieeffizienz und die Reduktion des Flugverkehrs mehr denn je ein Gebot der Stunde.
Um theoretisch den gesamten deutschen Luftverkehr mit PtL aus grünem Strom versorgen zu könnten, müssten wir sämtlichen grünen Strom einsetzen, der derzeit in Deutschland produziert wird.
Die Effizienzsteigerung im Flugzeugbau ist bisher weit davon entfernt, mit dem Verkehrswachstum Schritt zu halten. Daher wird durch die Luftfahrt pro Jahr immer mehr CO2 freigesetzt, statt weniger.
Das "3-Liter-Flugzeug": Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) gibt den Kerosinverbrauch pro Passagierkilometer mit 3,58 Litern auf 100 Kilometer an. Die Botschaft lautet sinngemäß: Mit dem Flugzeug bist du sparsamer unterwegs, als mit dem Auto. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass im Auto bis zu fünf Personen Platz finden. Weiter sind die Nicht-CO-Effekte des Fliegens dabei ebenfalls nicht berücksichtigt.
Der Begriff "Klimaneutraler Flughafen" ist widersinnig, wenn man bedenkt, dass 68,8 % der CO2-Emissionen nicht von der Flughafeninfrastruktur, sondern vom Flugbetrieb ausgehen. Eingerechnet ist dabei allerdings nur der Start- und Landeszyklus, nicht der Streckenflug und nicht die sekundären Klimaeffekte.
Niemand kann leugnen, dass EasyJet & Co. im Flugbetrieb derzeit weniger klimaschädlich unterwegs sind, als viele "alte" Netzwerk-Carrier. Sie verfügen geschichtlich bedingt über eine jüngere Flugzeugflotte. Jedoch stößt die immer höhere Auslastung des Fluggeräts und die damit verbundene Effizienzsteigerung langsam an Grenzen.
Der weitaus größte Klimaschaden beim Fliegen entsteht durch die sehr großen Distanzen, die durch eine Flugreise möglich werden. Man kann es auch kritischer formulieren: Billige Flugtickets und kurze Flugzeiten verleiten zu großen Distanzen. Mit dem Auto wird vielleicht von Berlin in die Alpen gefahren, aber nicht von Frankfurt in die Dominikanische Republik.
Dem Thema Lärm müssen wir ebenfalls große Bedeutung beimessen. Angesichts der Bemühungen um Klimaschutz darf der Schutz der Menschen in den Flughafenregionen auf keinen Fall vernachlässigt werden. Das Gleiche gilt für die Belastung mit Ultrafeinstaub.
Wir stehen vor der Aufgabe, die Preisdifferenz zwischen dem teuren SAF und herkömmlichem Kerosin zu überbrücken. Da ist die Besteuerung von Kerosin bei gleichzeitiger Steuerbefreiung von CO2-neutralen Treibstoffen wie PtL naheliegend. Die Kerosinsteuer kann zunächst nur für Flüge innerhalb der EU gelten. Die Einführung einer Kerosinsteuer könnte aber in den Luftverkehrsabkommen mit Außer-EU-Staaten nachverhandelt werden.
Eine europäische Luftverkehrsteuer wäre besser als nichts. Ein Vorteil ist, dass die Luftverkehrsteuer auf alle Flüge mit Start in Deutschland erhoben wird, und zwar bis zum Endziel des Fluges, egal, wo eine eventuelle Zwischenlandung stattfindet. Damit wären auch Extra-EU-Flüge abgedeckt, was bei der Kerosinsteuer zunächst nicht der Fall ist. Ein Nachteil ist, dass die Steuer nicht unmittelbar an den Kerosinverbrauch und damit an die Emissionen gekoppelt ist.
Eines der wichtigsten Instrumente auf dem Weg zur Dekarbonisierung ist die Einbindung des europäischen Luftverkehrs in denEuropäischen Emissionshandel seit dem Jahr 2012. Bisher hielt sich dessen Wirksamkeit allerdings in Grenzen. Es gibt noch zu viele kostenlose Zuteilungen. Der Luftverkehrssektor kann beliebig viele Zertifikate zukaufen, die andere Sektoren dank ihrer Einsparerfolge nicht benötigen. Die kostenlosen Zuteilungen für den Luftverkehr sollen bis 2027 ganz abgebaut werden. Eine Chance hat die Einbeziehung der Nicht-CO2-Effekte in den Emissionshandel.
Das Programm CORSIA der ICAO, das für die Emissionen der Flüge mit Destinationen außerhalb Europas zuständig ist, wird von vielen Seiten für nahezu wirkungslos gehalten.
Eine von britischen NGOs durchgeführte Studie zeigt die fehlende Wirksamkeit von Selbstverpflichtungen im Luftverkehr. Im Ergebnis zeichnet sich ab, dass wir uns auf Selbstverpflichtungen nicht verlassen können. Ohne rechtlich verbindliche und sanktionsbewehrte Regelungen geht es nicht. Vertreter der Luftverkehrswirtschaft begleiten den Werdegang der regulatorischen Ansätze in Deutschland und Europa aber mit scharfen Waffen.
In unseren Augen ist ein Preisanstieg für Flugtickets ausdrücklich erwünscht. Dabei geht es um die Internalisierung externer Kosten, um kostendeckende Flughafenentgelte und um fair bezahlte Arbeit.
Von den Preisen für Flugtickets in Europa muss eine echte Lenkungswirkung ausgehen. Denn bei weitem nicht jeder Flug muss sein.
Es kommt zu unsinnig langen Flugdistanzen, wenn durch erschwingliche Langstreckenpauschalreisen Ziele erreichbar werden, die sich gegenüber näher gelegenen Zielen vor allem durch das niedrige Preisniveau der Entwicklungsländer auszeichnen.
Urlaubsflüge zu Warmwasserzielen sind nicht Teil der Daseinsvorsorge, für die der Staat Mitverantwortung zu tragen hat.
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Empfohlen wird die Lektüre des gesamten Vortrags mit weiteren Argumenten und Fußnoten sowie mit Quellenangaben zum Beleg der Aussagen. Der Vortrag wurde in wissenschaftlichen Netzwerken und Bibliotheken verbreitet und somit auch von Google-Scholar (wissenschaftliche Suchmaschine von Google) gesehen, was die Verbreitung weiter steigert. Hier die Links:
https://doi.org/10.5281/zenodo.7325002 (EU Repository)
https://doi.org/10.34657/9476 (Technische Informationsbibliothek, TIB)
https://d-nb.info/127411649X (Deutsche Nationalbibliothek, DNB)
https://n2t.net/ark:/13960/s26pnch6hp1 (Internet Archive)
https://hdl.handle.net/20.500.12738/13476 (Reposit, HAW Hamburg)
https://scholar.google.com/scholar?cluster=4805602858761872918
Im Rahmen der Hamburg Aerospace Lecture Series (http://AeroLectures.de) wurden seit 2017 vermehrt Vorträge zum Thema "Luftfahrt und Umwelt" angeboten, die jetzt auf einer Seite zusammengetragen wurden: http://environment.AeroLectures.de.
Der bisher letzte Vortrag fand am 24.11.22 statt. Titel: "Climate Optimized Flight Routes – The Path from Research to Operations" von Dr. Ralph Leemüller, DFS Deutsche Flugsicherung GmbH.
Als Hochschule stellen wir uns im Verbund mit anderen Organisationen der Luftfahrt dem Thema und versuchen, die Fakten zu verstehen und in Lehre und Forschung umzusetzen.
Die Verzweiflung über das zu beobachtende Nicht-Handeln wird spürbar größer. Die letzte große Aktion bezogen auf die Luftfahrt, die es in die Schlagzeilen schaffte, führte zum Stopp des Flugverkehrs am Flughafen Berlin Brandenburg (BER) für zwei Stunden. Siehe dazu https://letztegeneration.de (24.11.2022). Die ältere Generation wird beim Klimawandel vermutlich noch glimpflich davon kommen, mit Blick auf ihre Lebenserwartung. Bei der jüngeren Generation sieht es da schon anders aus.
Es sollte Aufgabe der Hochschule sein, diesen gesellschaftlichen Diskurs zu begleiten und zu fördern. Hochschulen sind dazu in einer besonders günstigen Position. Professoren sind finanziell unabhängig. Abläufe an der Hochschule sind durch Gesetze und Verordnungen klar geregelt. Es gilt nicht nur die Meinungsfreiheit – GG Art 5 (1), sondern darüber hinaus auch die Freiheit von Forschung und Lehre – GG Art 5 (3). Wahrheitsfindung und –vermittlung ist per se Aufgabe von Forschung und Lehre. Nicht zuletzt stellen junge Menschen die Mehrheit unter den Mitgliedern der Hochschule.
In diesem Sinne wird der Vortrag von Frau Menge nicht die letzte Aktion zum Thema "Luftfahrt und Umwelt" an der HAW Hamburg gewesen sein. Stay tuned. More to come.
Text: Prof. Dr. Dieter Scholz