Zusammenfassung Projektrückblick
HAW-Forschungsprojekt „adele“ untersucht die Eingliederung desorganisiert lebender Menschen in ein Hilfe- und Unterstützungssystem
Das Forschungsprojekt adele heißt mit ganzem Titel: „(Wieder-)Eingliederung alter, desorganisierter lebender Menschen in das Hilfe- und Unterstützungssystem“ und wurde am Department Soziale Arbeit von 2017 bis 2020 durchgeführt. Ein Forscher-Team um Prof. Dr. Andreas Langer untersuchte das Messie-Phänomen bei älteren Menschen.
Obwohl Hamburg über ein gut ausgebautes System von Hilfe- und Unterstützungsangeboten verfügt, befinden sich Menschen, die vermehrt sammeln und horten oftmals in aussichtslosen Lebenssituationen. Durch die Desorganisation entstehen Gefährdungen für die Personen selbst und für Dritte. Hinzu kommen massive Kosten für das Sozialsystem und die Wohnungseigentümer*innen. Die Projektergebnisse wurden am 21. November 2019 bei der Fachtagung „Desorganisiertes Wohnen in Hamburg – Bedarfe, Konzepte, Versorgungslücken und Soziale Arbeit“ der Öffentlichkeit präsentiert.
Dunkelziffer
Die Dunkelziffer der vermuteten schweren Fälle von Wohnungsdesorganisation ist weitaus höher als angenommen. Bundesweit kursiert die auf Schätzungen von Selbsthilfegruppen beruhende Zahl von zirka 1,8 Millionen Menschen, denen ihr „Müll über den Kopf wächst“. In Hamburg werden jährlich über 100 neue „Grenzfälle des Wohnens‘ mit Wohnungsverwahrlosung und -vermüllung erfasst“ (FHH 2018). Dabei ist die Fallzahl 2017 im Vergleich zum Vorjahr um knapp 40 % angestiegen. Mit 70 Fällen war der Bezirk Mitte im Jahr 2017 am stärksten betroffen (FHH 2018:1).
Vielschichtiger Hilfebedarf
Desorganisiertes Wohnen ist verbunden mit einem vielschichtigen, komplexen Hilfebedarf, der sich nicht nur auf die Wohnsituation bezieht. Die Betroffenen leiden unter intensiven Schamgefühlen, Außenstehende und Angehörige dagegen unter Hilflosigkeit gegenüber einem Phänomen, das bislang kaum im Fokus steht. Soziale Isolation, Verstärkung von Armutssymptomen, gesundheitliche Beeinträchtigungen und nachhaltige Schädigung von Wohnraum sind nur einige der Auswirkungen. Eine Analyse der psychosozialen Folgen einer drohenden Zwangsräumung von Betroffenen zeigt, dass der drohende Wohnungsverlust als massive Krise wahrgenommen wird und nicht selten zum Suizid führt.
Hohes Risiko aus Hilfesystemen herauszufallen
Ein umfassendes Sammeln und Horten birgt ein hohes Risiko aus Hilfesystemen herauszufallen (Exklusionsrisiko) und ist häufig von sozialer und beruflicher Desintegration begleitet. Vermieter*innen, Hausverwaltungen, ambulante Pflege- und soziale Dienste, rechtliche Betreuer*innen sowie Angehörige sind bei der Re-Integration von Betroffenen in das Hilfe- und Unterstützungssystem überfordert. Projektergebnisse zeigen, dass für diese Personengruppe keine erreichbaren Angebote vorbehalten werden.
Möglichkeit eines ganzheitlichen Unterstützungsangebotes
Die Betroffenen sammeln oft über Jahre hinweg, haben Ängsten vor einer drohenden Entrümpelung bis hin zur Zwangsräumung mit Wohnungsverlust und anschließender Obdachlosigkeit. Der Hilfebedarf der betroffenen Personengruppe ist somit hochkomplex. „Unser Ziel ist der Wohnungserhalt und insbesondere die Verbesserung der Wohnqualität, so dass sich die Betroffenen wieder wohl in ihren vier Wänden fühlen. Allerdings zeigen sich im Laufe der Intervention weitere Schwierigkeiten – z.B. bei der Existenzsicherung, der Gesundheitssorge, Identitätsbildung, dem Wiederherstellen der Selbständigkeit und nicht zuletzt der sozialen Teilhabe“, sagt die Projektkoordinatorin Johanna Wessels.
Für das Umfeld der Betroffenen sind darüber hinaus Konfliktlösungen mit den Nachbar*innen und Vermieter*innen relevant, die zu einem frühzeitigen Erhalt von Wohnraum beitragen. Wesentlich für die Intervention sind die Anbindung an und die Wiedereingliederung in bestehende Hilfsangebote und die Eröffnung von Teilhabemöglichkeiten. Der Projektleiter Prof. Dr. Langer bekräftigt noch einmal: „Für die Daseinsvorsorge ist es unerlässlich, dass Zwangsräumungen und dadurch drohende Woh-nungslosigkeit präventiv begegnet und somit suizidale Krisen vermieden werden.“
Im Projektverlauf konnten für den erheblichen Unterstützungs- und Begleitungsbedarf der Betroffenen modellhafte Lösungsoptionen erarbeitet werden. Bis zum Projektende wurden insgesamt 26 Klient*innen mit unterschiedlichen Hortungsproblematiken sozialarbeiterisch betreut. Aufgrund der hohen Nachfrage, die den Bedarf eines Hilfsangebotes eindrücklich unterstreicht, wird derzeit eine Warteliste mit 28 Personen geführt. „Wenn durch adele eine eskalierende Wohnungsproblematik mit späterer Zwangsräumung verhindert werden kann, zahlt sich die Durchführung einer 12-monatigen adele-Intervention mit anschließender 24-monatiger nachsorgender Betreuung aus – das heißt, jeder in das Angebot investierte Euro zahlt sich aus“, so die stellvertretende Projektleiterin Prof. Dr. Susanne Vaudt. (Redaktion: Katharina Jeorgakopulos)
Informationen über das Projekt adele – Forschungsgestützte Intervention bei Wohnungsdesorganisation
Das dreieinhalbjährige HAW-Forschungsprojekt SILQUA-FH ,adele: (Wieder-) Eingliederung alter, desorganisiert lebender Menschen in das Hilfe- und Unterstützungssystem´ wurde mit mit Mitteln des BMBF gefördert. Es untersucht die Lebenslage desorganisiert lebender Menschen in Hamburg (Lauf-zeit: 01/2017 – 06/2020). Kernziel des Projektes ist die Konzeptionierung eines Interventions-Angebots Sozialer Arbeit zur Verbesserung der Lebensqualität von desorganisiert lebenden älteren Menschen. Bis zum Projektende wurden insgesamt 26 Klient*innen mit unterschiedlich schwer ausgeprägten Hortungsproblematiken sozialarbeiterisch betreut. Aufgrund der hohen Nachfrage wurde eine Warteliste mit 28 Personen geführt (Stand: 30.03.2020).