073-Schleifscheiben

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Spantechnik

Mein Spieltrieb als alternder Ingenieur hat mich dazu verleitet, der Neugier eines Studenten nachzugeben. Er fragte, ob er seinen Einkaufswagenchip aus Metall (vermutlich verchromter Stahl) in die Reibspindelpresse legen und umformen dürfe. Und ich habe zugestimmt. Denn ähnlich den derzeit beliebten Pressenkanälen auf YouTube, habe ich schon immer gerne verschiedene Dinge von Marshmallows über Nüsse bis hin zu Prozessorkernen in der Reibspindelpresse umgeformt.

Naja, auf jeden Fall hat der Einkaufswagenchip mein planparalleles Werkzeug umgeformt, so dass nun auf jeder Probe ein Logo einer bekannten Supermarktkette erscheint. Und jetzt kommt die Zerspanung ins Spiel. In dieser vorlesungsfreien Zeit soll die Werbung endlich entfernt werden. Dazu habe ich die betroffenen Werkzeugteile in unsere Zentrale Laborwerkstatt (liebe Grüße) getragen, wo sie einmal übergeschliffen werden.

Neben der Flachschleifmaschine hängen die bunten Schleifscheiben an der Wand. Da musste ich doch einmal draufschauen. Neben dem Hersteller, Warnhinweisen und der maximalen Drehzahl steht auf jeder Scheibe eine kryptische Kombination aus Zahlen und Buchstaben. Auf dieser hier z. B. 1-300x32x76,2 39C60K8VS. Diese Angaben sind natürlich genormt und die Erklärungen finden sich in der DIN ISO 525 oder auf den Seiten des einflussreichen Verbandes europäischer Schleifscheibenhersteller, der FEPA. Dröseln wir das Ganze mal auf.

Die 1 ganz vorne ist die Formnummer und steht für eine gerade Schleifscheibe. Sie ist ein Hohlzylinder mit Außendurchmesser, Gesamtbreite und Bohrungsdurchmesser und, wen wundert’s, das sind die Angaben, die direkt darauf folgen: außen 300mm, Breite 32mm und Bohrung 76,2mm. Ergänzend kann hinter der Formnummer noch die Randform durch einen Kennbuchstaben angegeben werden, z. B. F für halbkreisförmig abgerundet.

In der Norm folgen 13 Seiten mit Schleifwerkzeugformen. Die Form 01 ist sicherlich die am weitesten verbreitete. Daneben gibt es zahlreiche andere Formen, von denen ich zumindest kurz einige Wichtige erwähnen möchte. Die Form 02 ist ein zylindrischer Schleifring, der optisch mit Form 01 verwandt scheint, jedoch anders eingesetzt wird: Der Eingriff erfolgt hier an der Stirnfläche und nicht wie bei Form 01 überwiegend am Umfang der Scheibe. Form 05 und Form 07 sehen einer Form 01 Schleifscheibe sogar noch ähnlicher. Dies sind zylindrische Scheiben, die entweder einseitig oder zweiseitig ausgespart sind. Die erwähnte Aussparung dient einfach zur Aufspannung in der Maschine. Form 06 z.B. sieht dann endlich etwas anders als die klassischen zylindrischen Schleifkörper aus - dieser Typ sieht aus wie ein Napf und wird als Schleiftopf bezeichnet. Alle diese Schleifscheiben werden genutzt, um Flächen mit angemessenen Schnittgeschwindigkeiten zu bearbeiten, da sich die eingreifenden Schleifkörner relativ weit von der Drehachse entfernt befinden.

Dann wären da die Formen 16-19 bzw. 52: Diese Formschleifwerkzeuge kennt man von den Geradschleifern. Es ist keine Werbung, aber viele kennen nur die Markenbezeichnung Dremel.

Die Formen 41 und 42 sind die Trennscheiben, die man zum Beispiel von den Winkelschleifern kennt.

Der erste Block ist also entziffert: Die Formnummer mit eventueller Randform gefolgt von den relevanten Abmaßen.

Beim zweiten Block geht es um die Zusammensetzung der Schleifscheibe und es beginnt mit einer Nummer, die vom Hersteller frei verwendet werden darf und die genaue Zusammensetzung bzw. Mischung der Schleifkörner anzeigt (zumindest herstellerintern). Das wäre in unserem Beispiel die 39. Das darauf folgende C dient der Identifizierung des in der Schleifscheibe verwendeten Kornwerkstoffs:

  • A – Aluminiumoxid
  • C – Siliciumkarbid
  • Z – Zirkonkorund

Vermisst jemand Kubisches Bornitrid und Diamant? Ja? Die haben inzwischen eine eigene Norm bekommen, die DIN ISO 6104, weil der grundsätzliche Aufbau etwas anders ist. Die ganze Scheibe aus den Schleifkörpern zu bauen, wäre einfach viel zu teuer.

Zurück zur DIN ISO 525:

Früher wurden die Schleifstoffe etwas anders eingeteilt. Jetzt sind die ehemaligen Begriffe wie Normalkorund, Halbedel- und Edelkorund einfach in Aluminiumoxid zusammengefasst. Der Rest versteckt sich dann in der Ziffer davor.

  • Aluminiumoxid ist der Allrounder und recht günstig. Es wird in der maschinenbaulichen Fertigungstechnik überwiegend für die Bearbeitung von Stählen verwendet.
  • Siliciumcarbid wird dann eher bei Hartguss, Hartmetall und NE-Metallen verwendet.
  • Zirkonkorund ist ein synthetisches Mineral aus Aluminiumoxid mit Zirkon. Es ermöglicht höhere Abtragsleistungen und hat eine höhere Standzeit, ist aber auch teurer.

Bei der Schleifscheibe aus dem Beispiel ist 39C angegeben, der Schneidstoff ist also Siliciumcarbid. Der handschriftlichen Beschriftung „für Werkzeugstahl“ würde ich nach meinen Quellen also eher nicht zustimmen.

Die nächsten (bis zu 4) Ziffern kennzeichnen die Korngröße der Schleifmittel. Genauer gesagt ist es die Anzahl der Maschen auf einem Zoll Sieblänge (bei der Sortierung der Korngrößen). Daher gilt: Je größer die Zahl, desto kleiner die Körner. Große Körner nimmt man vielleicht eher zum Schruppen, kleine Körner eher zum Schlichten bzw. zur Feinbearbeitung. Hier darf sich noch eine weitere Ziffer für die Korngrößenverteilung anschließen.

Der nächste Buchstabe (Merkt ihr, wie sich immer Buchstaben und Zahlen abwechseln?) steht für die Härte der Schleifscheibe. Das meint nicht die Härte der Körner (die steckt ja im Schleifmittel), sondern die Härte der Bindung. Sie bestimmt, wie schnell ein Schleifkorn aus der Scheibe ausbricht, wenn es stumpfer wird. A ist ganz weich, Z ist äußerst hart. Unsere Scheibe ist mit K in etwa die härteste unter den weichen Scheiben, knapp unter mittel.

Die nächste Zahl bezeichnet die Struktur bzw. Porösität der Schleifscheibe. Dies ist vielleicht mit den Spanräumen bei den geometrisch bestimmten Schneiden vergleichbar. Große, offene Poren bieten Platz für Späne und Kühlschmiermittel. Kleine Zahlen stehen für dichte Schleifscheiben, große Zahlen (bis 99) für poröse, offene Strukturen.

Womit wir direkt bei der Bindungsart angekommen sind. Die Schleifkörner müssen ja zusammengehalten werden. Diese Norm führt in Tabelle 6 folgende Bindungsarten auf:

  • B – Kunstharz- bzw. duroplastische Bindung
  • Bei BF ist die Bindung durch Fasern verstärkt
  • E ist die Schellackbindung
  • MG – Magnesitbindung und
  • PL - Plastikbindung. Hier muss ich mich wirklich wundern. Plastik? Really? Ich dachte, hier im Maschinenbau sprechen wir nur von Kunststoffen. Naja, vermutlich sind hier alle Kunststoffe außer den Kunstharzen und Duroplasten gemeint.
  • R und RF sind die Gummibindung sowie die verstärkte Gummibindung
  • Und last but not least: V ist die keramische Bindung. Sie ist wirklich gebräuchlich.

Wer hier die metallische Bindung vermisst muss wieder in die DIN ISO 6104 schauen. Sie findet sich bei Diamant und CBN.

„Meine“ Schleifscheibe aus der zentralen Laborwerkstatt ist mit V gekennzeichnet. Sie besitzt also eine keramische Bindung. Das S ist eine herstellerspezifische Ergänzung.

Damit wären wir auch durch den zweiten Block durch.

39C 60 K 8 V bezeichnet eine Siliciumcarbid-Scheibe mit einer mittleren Körnung (Korngrößen 0,25-0,297mm), eher weicher, keramischer Bindung mit offener Struktur. Durch Bindung und Struktur ist sie also schon gut für die Aufnahme der typischerweise eher langen Metallspäne geeignet. Das macht also für die Reparatur meines Einkaufswagenchip-geprägten Umformwerkzeugs Sinn. Was denkt Ihr über das Siliciumcarbid? Schreibt es uns, z. B. in einen Kommentar.

Da mir (und euch vermutlich auch) der Kopf von den vielen Buchstaben und Zahlen raucht, lasse ich das Konditionieren der Schleifscheibe für eine andere Episode. Und den Spanvorgang beim Schleifen möchte euch Dietmar Pähler gerne mal erklären.

Als Vorschau auf eine folgende Episode: Meine umgeformten Umformwerkzeuge werden mittels Längs-Umfangs-Planschleifen bearbeitet.

Ach, und ganz wichtig: Vor dem Einbau einer Schleifscheibe muss unbedingt ein Klangtest durchgeführt werden. Dazu schlägt man die Scheibe mit einem Gegenstand an. Wenn der Klang der Scheibe ganz klar und nur ein Ton ist, darf sie eingebaut werden. Scheppert sie oder klingt sie unrein: Finger weg! Sie ist beschädigt und könnte bei den hohen Drehzahlen durch die Fliehkräfte zerrissen werden und dabei Mensch und Material schädigen.

 

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers