071-Umformfehler

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.

Ich habe im Vorbeigehen meinen Sohn gefragt, welches Thema ich als nächstes vorbereiten soll. Er antwortete, als wäre es das natürlichste auf der Welt, „Fehler beim Umformen“. Und da die Podcastepisode über Gussfehler von Prof. Müller auf allen Plattformen die meistgeklickte ist: Warum nicht?

Was kann beim Umformen schon schiefgehen? Schief ist da schon ein gutes Beispiel, das ich heute aber nicht in den Vordergrund stellen möchte. Natürlich könnte beim Umformwerkzeug der Stempel schief stehen, dann ist das Ergebnis falsch. Oder ich stelle den falschen Biegewinkel an der Kantbank ein. Um Bedien-, Einrichte- und Werkzeugfehler soll es nicht gehen. Ich möchte mich vorrangig um Fehler in der Prozessauslegung kümmern.

Und da Umformen eben nicht gleich Umformen ist, picke ich mir drei repräsentative Verfahren heraus:

  • Das Tiefziehen für Zug-Druck- und Blechumformung
  • Das Biegen sowohl für Blech als auch Profile
  • Und das Fließpressen für die Druck- sowie Massivumformung

Ich starte beim Tiefziehen mit dem Klassiker: dem Bodenreißer. Kurze Wiederholung: Wenn beim Tiefziehen die im Flansch zur Umformung benötigte Kraft größer ist, als die Kraft, die die Zarge übertragen kann, dann reißt der Boden des Napfes direkt am Ende des Ziehringradius nahezu vollständig ab. Man kann versuchen, durch leichte Verringerung der Niederhalterkraft oder ein geeignetes Schmiermittel, die Reibkräfte so weit zu senken, dass der Napf noch herstellbar ist. Aber vermutlich ist die Ziehfolge ungünstig ausgelegt oder ein Weiterzug ist notwendig.

Bei der Verringerung der Niederhalterkraft kommen wir vermutlich zum nächsten Problem: Den Falten erster Art. Auch das habe ich in der ersten Tiefziehepisoden schon erklärt. Die tangentialen Druckspannungen im Flansch führen zum Ausknicken nach oben.

Falten der zweiten Art entstehen bei Näpfen mit senkrechter Zarge dann, wenn der Ziehspalt zu groß ist, oder bei Näpfen mit schräger Zarge, wenn zu viel freier Raum bei der Umformung zur Verfügung steht.

Ein sehr unerwarteter Effekt, den ich selbst schon beobachten durfte, ist, wenn mit lautem Knallen ein Kreis mit Stempeldurchmesser sauber aus der Ronde ausgestanzt wird. Das kann tatsächlich passieren, wenn wahlweise der Ziehringradius deutlich zu klein, die Niederhalterkraft deutlich zu groß, der Ziehspalt zu eng oder die Ziehgeschwindigkeit zu groß ist. Wie sagen Enno Stöver und Dietmar Pähler immer so schön: „Trennen ist Umformen bis zum Bruch.“

Wenn der Ziehspalt nur leicht zu eng ist, dann kann folgendes auftreten: Durch die tangentialen Druckspannungen nimmt die Blechstärke während des Prozesses im Flansch etwas zu. Dies kann wiederum ausreichen, dass zwischen Ziehring und Stempel ein Abstreckziehen auftritt. Das Fehlerbild ist dann ein Napf, der etwa im oberen Drittel an der Außenseite blank poliert aussieht.

Einen hab ich noch. Der letzte Fehler, von dem ich euch beim Tiefziehen noch erzählen will, ist einer von der fiesen Sorte. Er ist nämlich nicht gut reproduzierbar. Wenn ein einzelner geschwungener, senkrechter Einriss vom Rand an einem Napf auftritt oder ein begrenzter horizontaler Riss, dann könnte es daran liegen, dass Materialfehler im Blech vorliegen. Diese Fehler treten also gegebenenfalls nur sporadisch auf.

Zur Abwechslung schiebe ich dann mal die Fehler beim Biegen ein.

Bei Abwicklungen von Biegeteilen muss die Verkürzung der gestreckten Länge bei kleinen Biegeradien beachtet werden. Dadurch dass die Zugkräfte eine Druckkraft radial nach innen erzeugen, schneidet die neutrale Faser quasi die Kurve und kürzt ab.

Im Großen (also bei dicken Werkstücken mit kleinem Biegeradius kann man es mit bloßem Auge sehen) hat das einen weiteren Effekt: Der Querschnitt des Werkstücks verändert sich von einem Rechteck zu einem Trapez. Um das zu erklären, schauen wir uns mal nur das Volumen auf der Innenseite von der neutralen Faser an: Hier herrschen Druckkräfte vor, das Material wird gestaucht. Da außerhalb der Mitte aber noch anderes Material vorhanden ist, kann nicht in die Dicke ausgewichen werden, das Werkstück wird hier lokal breiter. Außen ist es genau andersherum: Hier holt sich das gedehnte Werkstück das Material aus der Breite. Wenn man genau hinschaut, entstehen sogar noch eine Aufwölbung und eine Blechdickenverringerung, das ist mir jetzt aber zu kompliziert zu erklären.

Kleine Biegeradien sind anscheinend DAS Problem beim Biegen. Hier können auch Risse an der Außenseite auftreten, wenn die Volumenelemente dort zu stark gedehnt werden.

Damit komme ich jetzt zur Massivumformung, will meinen dem Fließpressen.

Beim Napf-Fließpressen können an der Innenwand des Napfes jede Menge Querrisse übereinander auftreten. Diese entstehen, im Bereich der Kante des Stempels. Hier hat der Werkstoff im Prinzip schon verschiedenste Umformungen erfahren: Stauchen unter dem Stempel und Verdrängung nach außen. Und nun soll das Material noch um die Ecke fließen, um die Wand auszubilden. Hier kommt es lokal zu einer Überschreitung des zulässigen Umformvermögens. Der Werkstoff wird durch die Kaltverfestigung immer fester und spröder und geht letztendlich kaputt. Eine Lösung wäre es, die Umformung auf zwei Schritte mit Zwischenglühen aufzuteilen. Vielleicht könnte auch eine Änderung der Stempelgeometrie helfen, der Effekt ist aber wenn überhaupt nur klein.

Eine zweite Auswirkung von zu hohen Umformgraden sind Schubrisse unter 45°. Diese treten im Stauchbereich der Umformzone auf, wenn das Rohteil zu viel nach außen fließen muss, um die Matrize zu füllen. Hier wäre die Lösung, einen passenden Rohteildurchmesser zu wählen.

Wie man sieht, können auch beim Umformen einige Verfahrensfehler auftreten. Mit guter Ausbildung und dann irgendwann mit Erfahrung, kann man versuchen, sie zu vermeiden oder zumindest schnell zu erkennen und die notwendigen Lösungen umzusetzen.

Ein gutes Tool, um Trial-and-Error-Schleifen mit physischen Werkzeugen in der Umformtechnik zu vermeiden, ist Simulationssoftware.

Aber Achtung: Bei FEM-Simulationen entstehen immer schöne, bunte Bilder. Nur wenn man diese wiederum deuten und auf Plausibilität prüfen kann, sind sie wirklich hilfreich. Lasst Euch da bitte nicht täuschen.

 

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers