072-Unbestimmte Schneide

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.

Heute gibt es eine Überblicks-Episode, bevor es beim nächsten Mal vermutlich in die Tiefe geht. In Episode 44 habe ich mir die DIN 8580 im Hinblick auf die Hauptgruppe „Trennen“ der Fertigungsverfahren angeschaut. Allerdings habe ich da die spanenden Verfahren ausgelassen. Heute will ich mich in die Gruppe „3.3 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden“ vertiefen (ich hasse diesen Zungenbrecher jetzt schon).

Für diese Gruppe von Verfahren sind die DIN 8589 Teile 0 und 11 bis 17 zuständig, unterstützt von der DIN 8200.

Was hat es denn nun mit den unbestimmten Schneiden auf sich? In Episode 10 (damals) hat Prof. Müller sich mit den verschiedenen Winkeln am Schneidkeil von Werkzeugen mit geometrisch bestimmter Schneide auseinandergesetzt. Bei den heutigen Verfahren ist es ganz anders. Damit es nicht so abstrakt bleibt, ein kleines Experiment:

Holt Euch doch bitte ein Blatt Schleifpapier (nicht zu fein) aus der Werkzeugschublade. Faltet es einmal so, dass die Schleifseite außen ist. Die Körner, die Euch jetzt entgegenpurzeln, sind die Schneidelemente. Ab damit unters Mikroskop. So ein einzelnes Korn ist ein zerklüftetes Gebilde, mit vielen mehr oder weniger scharfen Kanten, wobei die Ausrichtung der Schneidkanten zueinander und auch die Winkel an den Schneiden ziemlich zufällig verteilt sind. Diese Körner muss ich irgendwie zu meinem Werkzeug und meinem Werkstück bekommen. Beim Schleifpapier waren sie zum Beispiel mit einem Bindemittel am Papier befestigt.

Jetzt wäre ich bereit für ein Zitat aus der Norm: Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden ist ein (Zitat) „Spanen, bei dem ein Werkzeug verwendet wird, dessen Schneidenanzahl, Geometrie der Schneidkeile und Lage der Schneiden zum Werkstück unbestimmt sind.“

Das bedeutet, dass zu einem bestimmte Zeitpunkt einer der Schneidkörper mit der zu zerspanenden Fläche in Kontakt kommt. Nun passiert ein Spanabtrag ähnlich zu dem Prozess, den Prof. Pähler in der Episode über die Spanwurzel beschreibt. Nur eben ohne den definierten Keil. Es kann also ein Korn mit einer „scharfen“ Schneide (kleiner Keilwinkel) neben einem Korn mit großem Keilwinkel arbeiten, wobei letzterer eher schabt, als schneidet.

Wenn an einer Schneide zu viel Verschleiß stattgefunden hat, steigen die Kräfte und das Korn bricht aus dem Verbund oder geht kaputt. Mehr dann beim Schleifen.

Ich starte mal in die Untergruppen:

Die ersten drei Untergruppen (3.3.1 bis 3.3.3) befassen sich mit eben diesem Schleifen.

Das „Schleifen mit rotierenden Werkzeugen“ meint ganz grob das, was man mit Schleifscheiben tut, die man zum Beispiel vom Schleifbock (oder besser Doppelschleifer) kennt. In einer gesonderten Episode zum Schleifen erkläre ich das tiefer, gerade auch den Aufbau dieser Schleifscheiben. Tatsächlich gehören auch viele Arbeiten mit einem Winkelschleifer (im Spezialfall auch Flex genannt) dazu. Allerdings ist auch das Wälzschleifen von Verzahnungen in dieser Gruppe zu finden.

Das Bandschleifen beschäftigt sich dann mit umlaufenden, mehr oder weniger breiten Bändern (meist auf textiler Basis), die entweder um eine Schleifwalze gelegt oder auf zwei oder mehr Schleifwalzen gespannt sind. Dabei kann der Kontakt mit dem Werkstück an einer Stelle unterstützt von der Mantelfläche einer Schleifwalze, einem Schleifschuh (eine ebene Fläche unter dem Schleifband) oder im freien Bereich zwischen zwei Schleifwalzen erfolgen. Letzteres führt dazu, dass sich das Schleifband an die Werkstückoberfläche anschmiegen kann. Heimwerker:innen haben vielleicht einen Bandschleifer für die Bearbeitung von großen, ebenen Flächen im Lager.

Die dritte Gruppe der Schleifverfahren ist das Hubschleifen; Schleifpapier um einen Holz- oder Korkklotz gewickelt und ran ans Werk mit Muskelkraft. Auch das Schärfen eines Messers mit einem Wetzstein mit nicht rotierender Bewegung gehört hierher. Und tatsächlich würde ich hier auch das sogenannte Feilen der Fingernägel einsortieren, da die überwiegende Mehrheit dies mit diamantbesetzten Metall- oder geätzten Glaswerkzeugen durchführt (Nagelfeilen genannt), und nicht mit Feilen mit geometrisch bestimmtem Hieb.

Damit verlasse ich das Schleifen und begebe mich zum Honen. Im Prinzip habe ich hier einen Schleifkörper (auch Honstein genannt), der ähnlich wie eine Schleifscheibe mittels keramischer Bindung die Schleifkörner zusammenhält. Die einzelnen Honsteine sind dann aber zum Beispiel federnd in einer Honahle befestigt und werden mit einer definierten, geringen Kraft an die zu bearbeitende Oberfläche angepresst. Dabei überlagern sich mindestens zwei Schnittbewegungen (eine pendelnd), so dass kreuzförmige Bearbeitungsspuren entstehen. Honen erzeugt noch geringere Oberflächenrauheiten als das Schleifen. Ziel sind aber auch Form- und Maßhaltigkeit der Geometrieelemente. Das bekannteste Beispiel ist hier das Innen-Rundhonen von Zylindern beim Verbrennungsmotor.

Noch feiner als das Honen bearbeitet das Läppen die Werkstückoberfläche. Hier liegen die Schleifkörner als feines Pulver vor, das mit einer Paste oder Flüssigkeit (Wasser oder Öl) gemischt wird. Die Körner sind also nicht an ein Werkzeug gebunden. Die Oberflächenbearbeitung ist dann eine Mischung aus plastischer Formänderung und damit Verfestigung sowie auch der Abnahme von kleinsten Materialmengen. Eine Läppplatte bringt die Kraft auf die Körner.
Wenn man es nicht so genau nimmt, könnte die Anwendung von Handwaschpaste oder Gesichtspeeling in diese Gruppe fallen. Was meint ihr?

Zu den Strahlverfahren zur Oberflächenverfestigung hat Prof. Müller schon eine Episode veröffentlicht. Hier soll aber abgetragen werden. Der Schneidstoff liegt hier in einem Medium (z. B. Wasser oder Luft) vor und wird mit hoher Geschwindigkeit auf die Werkstückoberfläche gerichtet. Dies können Sand, kleine Kugeln oder Trockeneiskristalle sein. Manchmal wird sogar reines Wasser verwendet, wenn der Druck hoch genug ist. So kann entweder mit dem Strahl so etwas wie Fräsen ausgeführt werden oder das bekannte Wasserstrahlschneiden.

Als letzte Gruppe haben wir noch die Verfahren des Gleitschleifens, die definitiv noch eine eigene Folge brauchen. Grob gesagt haben wir einen großen Behälter mit Schleifkörnern oder Schleifpasten und manchmal einer flüssigen Chemikalie, dem Compound. Da hinein tun wir die Werkstücke und rühren um; entweder indem die Trommel gedreht wird wie ein Betonmischer oder wir bewegen die Werkstücke an einer Art Rührwerk durch das Medium oder man schüttelt gut. Viele Varianten mit vielen verschiedenen Anwendungen: von Entgraten über Entzundern bis Verfestigen und Oberflächeverbessern.

Ihr merkt schon, wenn man mal wieder die DIN 8580 aufschlägt, purzeln einem die Episodenideen nur so entgegen.

Ach übrigens: Das Schleifpapier darf man offiziell nur dann Schmirgelpapier nennen, wenn der Schleifstoff Schmirgel enthält. Dies ist ein Gemisch aus natürlichem Korund mit Magnetit, Hämatit und Quarz.

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers