074-Spanverfahrenskonstruktion
Die Episode
Transkript
Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.
Einer meiner Berufsschullehrer hat mal gesagt, dass Fachsprachen immer eindeutig sind. Ich bin mir nicht sicher, ob das in allerletzter Konsequenz so ist. Aber es ist schon praktisch, wenn ich einen gebogenen Drehmeißel brauche, nicht einen abgesetzten Drehmeißel zu bekommen. Standardisierung sorgt da nicht nur für kleinere Lagerbestände sondern auch für Klarheit.
Wenn ich also mit einer Kollegin oder einem Kollegen diskutieren möchte, wie ein bestimmtes Werkstück hergestellt werden könnte, dann sollten wir möglichst nicht aneinander vorbeireden.
Und genau zu diesem Thema habe ich in der DIN 8589 – Teil 0 eine interessante Auflistung gefunden. In dieser Norm geht es ja um die spanenden Fertigungsverfahren, sowohl die mit geometrisch bestimmter als auch die mit unbestimmter Schneide.
Wie zu erwarten, findet sich diese Unterteilung der Fertigungsverfahren in der Ordnungsnummer wieder, die ich allerdings nur erwähnen, nicht jedoch abfragen werde (und die Profs in den Klausuren derzeit wohl auch nicht).
Die ersten beiden Stellen der Ordnungsnummer kennzeichnen die Hauptgruppe und die Gruppe, hier also die 3 für Trennen, 3.2 mit geometrisch bestimmter und 3.3 mit geometrisch unbestimmter Schneide. An dritter Stelle folgt die Untergruppe, die von vielen schon als Verfahren bezeichnet werden dürfte: 3.2.1 Drehen, 3.2.3 Fräsen, 3.3.2 Bandschleifen oder 3.3.5 Läppen.
Und ab jetzt wird es interessant, da wieder Bezeichnungen folgen, die für alle spanenden Verfahren gelten können. Ein ähnliches Vorgehen gab es übrigens schon bei den Walzverfahren (höre dazu auch Episode 15).
Die vierte Stelle der Ordnungsnummer bezieht sich auf den Ordnungsgesichtspunkt „zu erzeugende Fläche“. Sie reicht von 1 Planzerspanen über Rund-, Schraub-, Wälz- und Profilzerspanen bis zur 6 Formzerspanung.
Fünf der Merkmale werden „durch einfache Grundkinematik“ erzeugt. Das behaltet kurz mal im Hinterkopf.
Ich beginne mit dem Präfix „Plan“: Hier soll eine ebene Fläche erzeugt werden. Beim Planfräsen kann ich z. B. mit der Stirnseite eines drehenden Schaftfräsers in einer linearen Bewegung (das wäre die einfache Grundkinematik) eine ebene Fläche erzeugen. Oder ich fahre mit einem Drehmeißel radial an der Stirnfläche eines drehenden Werkstücks entlang und erzeuge so eine Fläche durch Plandrehen.
„Rund“ ist das nächste Merkmal. Es soll eine kreiszylindrische Fläche erzeugt werden. Das einfache Längsdrehen ist also hier ein Runddrehen. Auch auf einer Fräsmaschine kann ich Rundfräsen, z. B. durch das Drehen des Rundtischs bei gleichzeitigem Walzenfräsen. Und jetzt wird es kurz kniffelig. Wenn ich einen zylindrischen Aufsatz fräse, indem ich die x- und y-Achsen entsprechend ansteuere, so dass der Fräser eine kreisförmige Bahn abfährt, dann müsste man die Bearbeitung als Formfräsen (Ordnungsnummer 6) bezeichnen, da jetzt keine einfache Grundkinematik mehr vorliegt sondern (Zitat) „ebene oder räumliche Steuerung der Vorschubbewegung“. Formzerspanen liegt auch vor, wenn ich Freiformflächen mit 5-Achs-Fräsen oder verschiedene Oberflächen wie Kugelflächen bei Drehteilen herstelle.
Das Drehen eines Gewindes wäre sogenanntes Schraubdrehen, das Fräsen eines Gewindes wäre Wälzfräsen.
Und last but not least gibt es noch den Präfix „Profil“, das würde z. B. beim Fräsen einer T-Nut, einer Schwalbenschwanzführung oder der Verrundung einer Kante mit einem Viertelkreisfräser vorliegen.
So weit die Ordnungsnummern, wie sie in diesem Teil der Norm auftauchen.
Es folgen noch weitere Ordnungsgesichtspunkte (in der Norm auch OGP genannt), denen wir in früheren Episoden schon begegnet sind und die je nach Bedarf hinzugefügt werden. Mir ist bewusst, dass es anstrengend ist, aber ich würde hier gerne wieder den Grundsatz „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“ erwähnen.
Gebe ich in der Bezeichnung zu viel an, nehme ich der Fertigung Spielräume. Kommt es mir aber auf spezielle Eigenschaften an, so sollte die Festlegung erfolgen.
Ich erwähne in loser Reihenfolge mal ein paar der OGP:
Der zu bearbeitende Werkstoff wird VOR das Verfahren gesetzt, der Schneidstoff DAHINTER:
„Stahlfräsen mit Vollhartmetallfräser“ wäre also richtig, „Vollhartmetallfräsen von Stahl“ wäre nicht normgerecht.
Beim Schleifen und Fräsen ist eine Unterscheidung in Gleich- und Gegenlauf wichtig.
Der Kühlschmierstoff kann relevant sein, was eine Ergänzung wie „mit Emulsion“ oder „mit Minimalmengenschmierung“ nötig macht.
Natürlich darf die Bearbeitungsstelle nicht fehlen, damit Innen- und Außenbearbeitung nicht miteinander verwechselt werden.
Und zu guter Letzt kann man auch „sonstige Verfahrensmerkmale“ ergänzen, wenn es zum Beispiel beim Tiefbohren verschiedene Verfahrensvarianten gibt, wie ihr bei Prof. Müller in der entsprechenden Podcastfolge nachhören könnt.
Wenn ich jetzt also erwähne, dass ich ein Werkstück mittels „NC-Außen-Längs-Rund-Aluminiumdrehen zwischen Spitzen mit Hartmetallwendeschneidplatte und Diamantbeschichtung mit waagerechter Arbeitsspindel“ bearbeiten möchte, dann ist doch alles klar, oder?
geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers