Saigon's Silicon Valley
Ho Chi Minh Stadt ist nicht nur die größte Metropole Vietnams, sondern darüber hinaus auch der Motor der Wirtschaft. Die Metropolregion zählt schon heute zu den bedeutendsten Hi-Tech-Standorten der Region Südostasien. Seit 20 Jahren arbeitet die Stadt an der Erschaffung eines „vietnamesischen Silicon Valleys“ im Osten der Stadt. Doch wie realistisch sind Vietnams Ambitionen und wie sieht ein solches Silicon Valley aus?
Es begann vor der Jahrtausendwende im Jahr 1998, als staatliche Regierungsorgane die ersten Pläne zur Errichtung einer großen High-Tech-Industrieanlage im Osten von Saigon schmiedeten. 2002 war es dann so weit und die Gründung des Industriegebiets mit einer Größe von 913 Hektar nahm ihren Lauf. Heute ist der sogenannte „Saigon Hi-Tech Park“ (SHTP, auf Vietnamesisch auch Khu công nghệ cao Quận 9 genannt) in Distrikt 9 von Ho-Chi-Minh-Stadt durchaus eine Erfolgsgeschichte, die bereits auf eine 20-jährige Entwicklung zurückblicken kann.
Die Ansammlung von weltweit führenden High-Tech-Giganten im amerikanischen Silicon Valley gilt als Sinnbild einer experimentellen Ideenschmiede und Hort von Innovation, wo Unternehmen wie Alpha, Meta, Apple und Co. eifrig an Zukunftstechnologien forschen. Nach US-amerikanischen Vorbild soll der 2002 im Osten von Ho-Chi-Minh-Stadt geschaffene Industriepark ein ebensolcher Ort für Vietnam und vielleicht auch die Region Südostasien werden. Der Park gilt heute als Grundstein für die Schaffung eines „Saigon Silicon Valley“.
Milliardeninvestitionen: Saigon ist Standort mit Zukunftsperspektive
Als eines der ersten internationalen Großunternehmen erkannte Intel das Potenzial Vietnams als Zukunftsmarkt sowie als Produktionsstätte und wurde 2006 der erste wichtige Investor des Saigon Hi-Tech-Parks. Intel ist mit einer Investitionssumme von einer Milliarde USD eingestiegen und hat im Hi-Tech-Park eine der größten Chip-Fabrikstätten und größten Testeinrichtungen der Welt von insgesamt über 46.000m2 Fläche errichtet. Der „Ho Chi Minh City Campus“ von Intel ist der bisher größte des Unternehmens weltweit und beschäftigt heute 4.000 Angestellte. Hier wurden allein von 2010 bis 2022 zwei Milliarden Chips für Kunden aus der ganzen Welt hergestellt.
Neben Intel sollte auch Samsung Electronics HCMC CE Complex (SEHC) erwähnt werden. Das Tochterunternehmen des koreanischen Elektronik- und Technikriesen Samsung ist seit 2016 im Saigon Hi-Tech Park ansässig und hat dort auf einer Fläche von 122 Hektar mit einer Investition von zwei Milliarden USD die weltweit zweitgrößte Fabrik für Fernseher und Heimelektronik errichtet. Der dortige Standort ist ein Teil von Samsungs Investitionsstrategie in Vietnam, die auch eine der weltweit größten Smartphone-Fabriken in den nordvietnamesischen Provinz Bắc Ninh und Thái Nguyên miteinschließt.
Außer den ganz großen Playern wie Intel und Samsung sind auch einheimische Unternehmen im Hi-Tech-Park ansässig und mit 110 Projekten mit einer Investitionssumme von fast zwei Milliarden USD in dem Industriegebiet aktiv. Die Anzahl der Projekte mit ausländischen Investitionen (Foreign Direct Investment) belief sich bis Ende 2022 hingegen auf nur 51, mit jedoch einer Investitionssumme von über 10 Milliarden USD. Pünktlich zum 20-jährigen Bestehen des Hi-Tech-Parks verkündete der Vorsitzende des Verwaltungsrats Dr. Nguyen Anh Thi gegen Ende Oktober 2022 eine Rekordinvestitionssumme von 12 Milliarden USD.
„Saigon Silicon City“: Die Stadt in der Stadt
Mit einer erfolgversprechenden Tendenz des Saigon Hi-Tech-Parks sind auch die Ambitionen der vietnamesischen Regierung, ein vietnamesisches Silicon Valley hochzuziehen, gewachsen. Erste Pläne der Stadtverwaltung im Gebiet des Saigon Hi-Tech Parks eine „Saigon Silicon Valley“ beziehungsweise eine „Saigon Silicon City“ zu errichten, erhielten 2017 grünes Licht der nationalen Regierung.
Erst 2020 kam der Plan der Realisierung einen großen Schritt näher als die Stadtverwaltung den Zusammenschluss der für das Projekt ausgewählten Gebiete Distrikt 9 (Standort des Hi-Tech-Parks), Distrikt 2 auf der Halbinsel Thủ Thiêm sowie Distrikt Thủ Đức zur „Stadt Thủ Đức“ (Thành phố Thủ Đức) beschloss. Insgesamt besteht das Areal der neuen Stadt unter der Verwaltung von Ho-Chi-Minh-Stadt aus einem 22.000 Hektar großem Gebiet und zählt neben Distrikt 7 zu den sich am schnellsten entwickelnden Distrikten von Ho-Chi-Minh-Stadt. Nach den Vorstellungen der Behörden sollen in diesem „innovativen Stadtteil“ in naher Zukunft über eine Million Menschen leben.
Bei einem Treffen zwischen Nguyễn Thành Phong, dem Vorsitzenden des Volkskomitees von Ho-Chi-Minh-Stadt, und dem Direktor der Asian Development Bank (ADB) Andrew Jeffries Anfang 2021, bekräftige letzterer die gemeinsame Bedeutung der neuen urbanen Region der Millionenmetropole. Laut Jeffries sind allein 45% des Kapitals der Bank in Projekte in Ho-Chi-Minh-Stadt investiert, die besonders die Entwicklung dieses neuen östlichen Teils der Stadt im Fokus haben. Ende des Jahres 2022 konnte die Verwaltung des Saigon Hi-Tech-Parks die Bilanz des Jahres 2021 präsentieren. Der Park erwirtschaftete demzufolge fast 21 Milliarden USD und stellte 52% der gesamten Exportgüter der Stadt. Die Stadtverwaltung sieht in dem Silicon Valley-Projekt das Potenzial, ein wirtschaftliches Zentrum für ganz Vietnam zu werden, in dem bis zu 7% des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet werden könnten.
Nur Produktion statt Innovation?
Mit der Investition von internationalen Giganten wie Intel oder Samsung sind Ho-Chi-Minh-Stadt und das Gebiet der neuen Stadt Thủ Đức ohne Zweifel bereits jetzt ein wichtiger Industriestandort. Allerdings liegt der Schwerpunkt dieses Standortes – wie auch in Vietnam allgemein – noch auf Produktion und Assemblierung. Unter „Silicon Valley“ versteht man jedoch eher einen besonderen Ort der Technologieentwicklung, der mit Schlagwörtern wie „Innovation“ und „Kreativität“ in Verbindung gebracht wird. Eine drängende Frage ist daher, wann und ob das vietnamesische Silicon Valley den Übergang von einer mehrheitlichen Produktionsstätte zu einer Innovationsstätte schafft.
Laut den Plänen der Stadtbehörden soll Thủ-Đức-Stadt nicht weniger als eine „innovative urban area“ (khu đô thị sáng tạo) werden. Dass Thủ Đức von diesem Ziel noch weit entfernt ist, ist nicht nur den Behörden klar. Lam Nguyen, Direktor des vietnamesischen Marktforschungsunternehmens IDC Indochina, nannte gegenüber TechWire Asia die Art der Entwicklung als den Hauptunterschied zwischen dem amerikanischen Original und dem vietnamesischen Modell. Während das kalifornische Silicon Valley teils natürlich und teils lokal sowie technologiebasiert gewachsen ist, sei das vietnamesische Modell vom Anfang bis jetzt ein künstliches Gebilde, in dem der Staat die Infrastruktur sowie günstige Standort- und Steuerbedingungen schaffen musste, um Investitionen attraktiv zu machen.
In seiner wirtschaftlichen Rolle ist das neue Stadtgebiet um den Saigon Hi-Tech-Park und die jetzige Stadt Thủ Đức bereits jetzt von großer nationaler Bedeutung. Ob die Transformation von Produktion zu Innovation in den kommenden Jahren zu schaffen ist, wird auch weiter von Vietnams wirtschaftlicher Entwicklung abhängig sein, insbesondere der IT-Branche und dem Wachstum von Vietnams digitaler Wirtschaft – eine Entwicklung, die weiter nur bedingt durch staatliche Hilfe zu lenken ist.
Text: Julian Huesmann