VinFast und Vietnams Fortschritte in der E-Mobilität
Wer sich mit der derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklung Vietnams beschäftigt, ist sicherlich mit dem Namen VinFast vertraut. Das junge Unternehmen ist in kurzer Zeit zu einer scheinbar treibenden Kraft in Vietnams eigener Automobilindustrie geworden. Doch VinFast mischt den Markt nicht nur mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren auf. Das Unternehmen setzt alles auf Elektromobilität und ist ein bereits jetzt ein bedeutender Faktor in Vietnams Wandel hin zur E-Mobilität. Wird es die zahlreichen Herausforderungen meistern und sich langfristig als Hersteller von E-Autos aufstellen können?
Als Tochterunternehmen der großen vietnamesischen Vingroup unter Milliardär Phạm Nhật Vượng ist VinFast mit seiner Gründung im Jahr 2017 ein relativ junger Teil des Vingroup-Konzerns. Zweifelsohne nimmt das Unternehmen unter den Tochterunternehmen der Vingroup einen zentralen Platz ein und ist von strategischer Bedeutung für die Vingroup aber auch Vietnam.
Mit dem Bau des ersten großen VinFast-Werks 2017 – dem derzeit größten und automatisiertesten Automobilwerk in ganz Südostasien – nahe der nordvietnamesischen Hafenstadt Hải Phòng, nahm eine beeindruckend schnelle Entwicklung ihren Lauf. Es dauerte nicht lange, bis VinFast erste Automodelle der Weltöffentlichkeit vorstellte. Darunter waren anfangs klassische Verbrenner, doch die ersten E-Automodelle folgten bereits kurz darauf. Das Unternehmen hat den Markt der E-Mobilität als große Chance erkannt und setzt inzwischen vollständig auf Elektroantrieb.
Nachdem VinFast in den vergangenen zwei Jahren mit einem Verlust von insgesamt drei Milliarden USD abschloss, gab Vingroup- und VinFast-Gründer Phạm Nhật Vượng Bloomberg im Februar 2023 gegenüber bekannt, in nächster Zeit kein privates Vermögen mehr in den Automobilhersteller investieren zu wollen. Die weitere Finanzierung der Tochter VinFast sei jedoch durch die Vingroup garantiert und sichergestellt.
VinFast „Rising Dragon“?
In den vergangenen Jahren hatte VinFast große Mitteilungen und Meilensteine zu verkünden. Anfang 2022 machte VinFast bekannt, dass die Planungsphase zum Bau eines E-Automobilwerkes in Chatham County im US-Bundesstaat North Carolina steht. Bis heute sei jedoch erst die Baufeldräumung für das Werk abgeschlossen. Laut Plan soll das Werk ab Juli 2024 in Betrieb gehen und wäre damit VinFasts erste ausländische Produktionsstätte in einem westlichen Industrieland.
Im November 2022 markierte das Unternehmen einen weiteren Meilenstein auf dem Weg seiner Expansion. Vom Hải Phònger Hafen aus wurde die erste Lieferung von 999 Exemplaren des VinFast E-Autos VF 8 für den US-Markt auf den Weg gebracht. Von Seiten VinFasts wird dieser Moment als ein „wichtiges Ereignis für VinFast und die Vingroup sowie ein stolzer historischer Meilenstein für die vietnamesische Automobilindustrie“ gesehen. Die tatsächliche Lieferung wurde aufgrund eines nötigen Software-Updates auf Ende Februar dieses Jahres verschoben, wie das Unternehmen mitteilte.
Neben Produktion und Verkauf in Nordamerika hat das Unternehmen auch den EU-Markt ins Auge genommen: Im Juni 2022 gab das Unternehmen bekannt, in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden über 50 offizielle Verkaufsstellen eröffnen zu wollen. Davon sollen über 25 Verkaufsstellen in deutschen Städten, wie Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt eröffnet werden. Auch ein Produktionsstandort in Deutschland ist derzeit in Planung.
Mit den vollelektrischen SUV-Modellen VF8 und VF9 betrat VinFast im Jahr 2021 erstmals als neuer Hersteller den E-Automarkt der Region Südostasien. Obwohl der E-Markt international ein noch wenig erschlossener Bereich ist, stehen die Chancen für VinFast gut, mit dem Verkauf von E-Rollern, E-Autos und E-Bussen nicht nur in Vietnam ein großes Potential auf dem einheimischen Markt auszubeuten. Doch wie stehen die Trends und Chancen in Vietnams derzeitiger Verkehrsentwicklung?
Stau und Luftverschmutzung: Verkehr in Vietnam
In dem sich weiterhin rasant entwickelnden Land sind Motorroller und Motorräder das Hauptfortbewegungsmittel für den Großteil der Bevölkerung. Denn trotz fortschreitender Modernisierung, Industrialisierung und Urbanisierung lebt heute noch immer eine Minderheit der Vietnames*innen in Städten bzw. urbanen Regionen. Einkommen und Lebensstandard der urbanen Mittelklasse wachsen jedoch stetig weiter und so tendieren mehr und mehr Menschen dazu, sich ein Auto zuzulegen. Mit mehr Autos steigen aber auch der Kraftstoffbedarf und somit CO2-Emissionen und die ohnehin bereits starke Luftverschmutzung in Vietnams größten Städten.
Die Studie Study of Electric Mobility Development in Viet Nam, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im August 2021, begutachtete die Chancen und Probleme der E-Mobilität in Vietnam. Der Studie zufolge waren Ende 2018 in Vietnam 4 Millionen Autos registriert. Der Anteil von Haushalten, die ein Auto besitzen, liegt bei nur ca. 2 Prozent. Obwohl Motorroller mit über 90 Prozent Anteil die klare Mehrheit auf Vietnams Straßen bilden, ist der Anteil von Autos seit 2006 deutlich gewachsen. Die jährliche Wachstumsrate für Autos lag zwischen 2014 und 2018 in Vietnam bei 15,5 Prozent.
Die Zahl verkaufter E-Autos stieg in den Vorpandemiejahren laut der Studie zwar signifikant an. Jedoch lag das Haupteinsatzgebiet dieser EVs im Tourismussektor und somit nicht im privaten und alltäglichen Gebrauch auf Vietnams geschäftigen Straßen. Bemerkenswerterweise stieg VinFast gerade in den Pandemiejahren stark in den vietnamesischen Markt ein – und das mit Erfolg: es rollen heute sichtbar viele VinFast-Autos durch Vietnams Metropolen. Allein im ersten Geschäftsjahr 2021 verkaufte das Unternehmen über 35.000 Autos in Vietnam – die Mehrzahl klassische Verbrenner. Die Zahl verkaufter reiner VinFast-EVs lag gegen Ende 2022 in Vietnam hingegen nur bei knapp über 2.200 Stück.
„Klara“ und VinFasts Erfolg
Obwohl der Name VinFast in den Medien und der Öffentlichkeit eher in Verbindung mit Autos steht, so hat VinFast den wichtigsten Marktanteil in Vietnam bisher hauptsächlich seinen E-Rollern zu verdanken. Die allgemeinen Verkaufszahlen von E-Rollern und E-Bikes in Vietnam sind allein 2018 um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Zu diesem Zeitpunkt handelte es sich hauptsächlich um chinesische, koreanische und japanische Fahrzeuge. Mit dem Einstieg ab 2018 hat VinFast den vietnamesischen Markt deutlich aufgemischt. Im ersten Verkaufsjahr von 2018-2019 wurden bereits 50.000 E-Roller der neuen Serie „Klara“ in Vietnam verkauft – zu vergleichsweise günstigeren Preisen als handelsübliche Motorroller.
Die Pandemiejahre bedeuteten einen scharfen Einschnitt im Leben der Menschen aber auch Vietnams Wirtschaft. Obwohl die Verkaufszahlen von Motorollern in dieser Zeit allgemein wenig überraschend sank, stieg hingegen die Zahl der verkauften E-Roller von 2019 bis 2021 von 5,4 Prozent auf 10 Prozent, gerechnet auf die Gesamtzahl verkaufter zweirädriger Kraftfahrzeuge (auch two-wheelers, 2W). Damit führt Vietnam nicht nur klar in der ASEAN-Region, sondern steht auch weltweit auf Platz 2 direkt hinter China. Während Honda den vietnamesischen Markt bei klassischen Verbrennern führt, lag im Jahr 2020 der Marktanteil von VinFast für E-Roller bereits bei über 40 Prozent – Tendenz steigend – und VinFast besitzt damit eine Monopolstellung.
Eine zentrale Herausforderung für die weitere erfolgreiche Entwicklung von Vietnams E-Verkehrswende ist der Ausbau von öffentlich zugänglicher Lade-Infrastruktur. Gute Bilanzen und Umsätze sind nur auf Sand gebaut, wenn es an der kritischen Infrastruktur mangelt – denn Infrastruktur ist key.
Wo ist Vietnams Lade-Infrastruktur?
Ein Erfolg dieser E-Verkehrswende ist abhängig von einer ganzen Reihe von Bedingungen. Im Vergleich zu Deutschland sind diese Bedingungen in Vietnam noch weitaus weniger vorhanden. Neben einer effektiven und gut ausgebauten Lade-Infrastruktur als wichtigstes Fundament, ist auch die Nachhaltigkeit der Energiequellen nicht unwichtig. Ebenso sind fahrzeugbedingte Probleme wie Batterietyp und seine Langlebigkeit oder die Reichweite von E-Fahrzeugen (electric vehicles, EVs) ernstzunehmende Hindernisse, die für viele Menschen Grund genug sind, vor dem Kauf eines E-Autos oder E-Rollers zurückzuschrecken.
Dass die Vingroup ein allgemeines Konzept verfolgt, welches strategisch mit Teilbereichen der eigenen Tochterunternehmen verbunden ist, lässt sich gut am Beispiel des geplanten Ausbaus von flächendeckender EV-Ladeinfrastruktur durch die Vingroup sehen. Derzeit sind landesweit kaum öffentliche Ladestationen für E-Roller oder E-Autos in Vietnam vorhanden. Seit 2018 macht die Vingroup jedoch strategischen Gebrauch vom landesweiten und stetig wachsenden Netz der eigenen Minisupermarktkette WinMart+ (ehemals VinMart+), um kostenlose Ladestationen für E-Roller und E-Bikes anzubieten. Dieses Projekt wurde jedoch nach der Installation von 200 Ladesteckern laut VinFast aufgrund der noch geringen Anzahl von E-Rollern vorerst auf Eis gelegt.
Darüber hinaus bestehen weitere Kooperationen zwischen VinFast und beispielsweise dem staatlichen Mineralölunternehmen PetroVietnam Oil Corporation (PVOil), mit dem Ziel, ab 2022 landesweit 300 E-Ladestationen für E-Autos an Tankstellen von PV Oil zu installieren. Die erste Ladestation wurde im Juli 2022 in Hải Phòng eröffnet. VinFast strebt das ambitionierte Ziel an, in den kommenden Jahren in allen 63 Provinzen Vietnams E-Ladestationen mit insgesamt 150.000 Ladeanschlüssen für E-Autos und E-Roller zu installieren.
Klimaziele und erneuerbare Energien in Vietnam
Nicht nur, um das Problem der steigenden Luftverschmutzung und Gesundheit in den wachsenden Metropolen des Landes zu lösen, sondern auch im eigenen Interesse im Kampf gegen das noch drängendere Problem des Klimawandels, ist eine E-Verkehrswende in Vietnam ein sinnvolles Ziel und ein effektiver Weg, um öffentliche Gesundheit und Klimaschutz erfolgreich anzugehen. Doch diese Rechnung geht nur auf, wenn Energie für E-Roller und E-Autos in Vietnam auch wirklich aus klimaverträglichen und nachhaltigen Quellen stammt.
Der Anteil der Energie aus erneuerbaren Energien in Vietnam lag bis Mitte 2018 noch bei einem relativ geringen Anteil. Dass am Ausbau gearbeitet wird und ein großes Potenzial vorhanden ist, konnte man zwischen 2018-2019 sehen, als enorme Energiemengen von bis zu 4,5 GWh allein aus Solar in das nationale Netz eingespeist wurden. Ziel der Regierung ist es, CO2-Emissionen bis 2030 um 25 Prozent und bis 2050 um 45 Prozent zu senken. Der Anteil der erneuerbaren Energien in Vietnam (Wasser-, Solar-, Windkraft und Biomasse) lag 2021 bei knapp über 20 Prozent.
Der Transportsektor ist in Vietnam für 10 Prozent der nationalen Emissionen verantwortlich, allerdings mit einer stark wachsenden Tendenz. Mit einer steigenden E-Motorisierung, gestützt von einer klaren nationalen Strategie zur E-Mobilitätswende, könnte Vietnam laut Berechnungen der GIZ-Studie bis 2030 die Emissionen des Transportsektors um bis zu 20 Prozent senken. Dies würde einen bedeutenden Anteil der Emissionen senken. Doch muss dafür sichergestellt werden, dass der Anteil erneuerbarer Energien stetig ausgebaut wird. Hier stößt Vietnam trotz Boom und großem Potenzial der Solarbranche auf Schwierigkeiten, wegen des rasant steigenden Energiebedarfs und das Land muss zunehmend auf Kohle und Kernenergie zurückgreifen, um die nationale Versorgung sicherzustellen.
Das Problem mit den Batterien
Ein grundlegendes Problem bei allen Arten von zwei- bis vierrädrigen EVs sind die bisher gängigen Batterietypen. Neben dem notwendigen Laden und dem Vorhandensein einer gut ausgebauten Ladeinfrastruktur bereitet die Batterie selbst einige Schwierigkeiten. Dazu zählen die durchschnittliche Ladezeit, die Reichweite der Batterie, sowie die allgemeine Sicherheit und Entsorgung alter und defekter Batterien. Mit dem Verkauf der ersten E-Roller-Serie „Klara“ ab 2018, brachte VinFast die ersten EVs mit Lithium-Ionen-Batterien sowie klassischen Bleiakkus (lead-acid battery) auf den vietnamesischen Markt.
VinFast hat die noch bestehenden Probleme mit den Batterien erkannt und das Unternehmen bereits eine große Summe für die Entwicklung nachhaltigerer Batterien für seine E-Fahrzeuge investiert. So bestehen beispielsweise Kooperationen und erste Kooperationsvereinbarungen mit einigen weltweit führenden Unternehmen im Bereich der Batterieentwicklung, wie Kreisel Electric aus Österreich, StoreDot aus Israel, sowie dem taiwanischen Unternehmen ProLogium, welches sich auf die Entwicklung von Festkörperbatterien (solid-state batteries) spezialisiert hat, die die bekannten Probleme der herkömmlichen Batterien lösen sollen.
Mit dem Bau einer großen Joint-Venture-Batteriefabrik eines weiteren Vingroup-Tochterunternehmens (VinES Energy Solutions, VinES) und dem chinesischen Batteriehersteller Gotion High-Tech treibt VinFast den Ausbau der eigenen Lieferkette für neuartige Lithium-Eisenphosphat-Akkus (LFP battery cells) weiter voran. Die neue Megafabrik in der Wirtschaftszone Vũng Áng in der nordzentralvietnamesischen Provinz Hà Tĩnh wird mit einer Investitionssumme von umgerechnet USD 275 Mio. ausgestattet und zielt auf eine Produktionskapazität von fünf Gigawattstunden pro Jahr.
E-Mobilität in Vietnam: Zwischen Herausforderungen und Chancen
Noch mehr als in Deutschland steckt die E-Mobilitätsbranche in Vietnam in den Kinderschuhen – und das aus verschiedenen Gründen. Mit VinFast bzw. der Vingroup ist jedoch ein neuer Player und Pionier im Bereich der E-Mobilität auf den Plan getreten, der in Absprache mit staatlichen Stellen das ganze unentdeckte Potential des vietnamesischen E-Marktes entfalten und das Land technologisch voranbringen möchte.
Die bisherige Entschlossenheit und Bereitschaft in Zukunftsinvestitionen zeugen von einer klaren Strategie des Unternehmens. Derzeit ist die Hauptaufgabe, anfängliche Rückschläge wie zum Beispiel in der Finanzierung zu überwinden und sich als E-Automobilhersteller erfolgreich auf internationalen Märkten zu etablieren. Daneben ist der Ausbau der eigenen Lieferkette wie zum Beispiel durch eigenen Batterie- und Automobilfabriken nicht weniger wichtig. Für eine langfristige Transformation zur E-Mobilität müssen jedoch insbesondere zentrale Herausforderung wie der Ausbau der nationalen Lade-Infrastruktur und der Ausbau erneuerbarer bzw. CO2-armer Energiequellen vorangetrieben werden, wenn die Umsetzung der Klimaziele weiterhin verfolgt werden soll. Dies sind allerdings Aufgaben, die nur in engster Zusammenarbeit und Absprache mit den höchsten staatlichen Stellen zu realisieren sind.
Text: Julian Huesmann