Gendersensible Beratung: GründungsberaterInnen im Spannungsverhältnis
Im Hinblick auf die aktuellen Statistiken kann der geringe Anteil an Gründerinnen sowohl im europäischen (18 %) als auch nationalen Vergleich (21 %) nicht geleugnet werden. Gründe dafür sind vielfältig und werden in den einzelnen Blog-Beiträgen behandelt. In dem vorliegenden Artikel rückt die (Gründungs-)Beratungspraxis in den Fokus.
Wie Schubert, Rohr und Zwicker-Pelzer in ihrem Buch „Beratung. Grundlagen, Konzepte, Anwendungsfelder“ (2019) darlegen, ist die gesellschaftliche Anerkennung von Beratung und damit ihre Institutionalisierung auf die Zeitspanne zwischen dem 18. Jh. – 20. Jh. zurückzuführen und im Zuge der zunehmenden Industrialisierung als eine Antwort auf gesellschaftlichen Wandel zu verstehen. Wenn die Beratungsstellen damals als Hilfemaßnahmen, die sich insbesondere mit den Themen Lebenswelt und Familie beschäftigten, dienten; so übernimmt die Gründungsberatung heute die Aufgabe, eine „Orientierungs-, Planungs-, Entscheidungs-, Handlungs- und Reflexionshilfe zu bieten“ (ebd.), wenn auch nicht alle Komponenten gleichzeitig und in gleichem Maße das Interesse der Ratsuchenden abbilden. Damit ist die Gründungsberatung ebenfalls eine Antwort auf die aktuellen Ereignisse, nämlich: auf das zunehmend wachsende Gründungsinteresse.
Von Frau zu Frau (?) - Gendersensible Beratung
Um dem aktuellen gesellschaftlichen Wandel nicht hinterherzuhängen und das Gründungspotenzial optimal auszuschöpfen, stellt sich die Frage, inwieweit eine gendersensible Beratung – beispielsweise in einer Konstellation Gründungsberaterin & ratsuchende Gründungsinteressierte Frau – notwendig ist. Um eine fundierte Antwort zu liefern, scheint – so die logische Schlussfolgerung – ein Blick in die Forschungsliteratur zu reichen. Ausgehend von der ersten Literatursichtung ist das Thema bisher auf kein großes wissenschaftliches Interesse gestoßen. Demnach können keine konkreten Handlungsempfehlungen übernommen werden. Eine Ausnahme stellt der, im Jahr 2009 publizierte, Beitrag „Gendersensible Gründungsberatung - Gründe, Reichweite, Grenzen“ (Schnell) sowie ein paar wenige Studien dar. Aus diesen wird schnell deutlich, dass Frauen, insbesondere in der Startup-Phase, gern auf externe Angebote in Form von z.B. Beratungen zugreifen (Yazdanfar & Abbasian, 2015). Die Problematik scheint also nicht auf der Seite der gründungsinteressierter Frauen zu liegen, sondern, wie Widerstedt et al. (2018) zeigen, auf Reproduktionsprozesse von geschlechtsspezifischen Stereotypen/Bias seitens der BeraterInnen. Bereits Christiane Schnell (2009) „plädiert in Abgrenzung zu geschlechtsspezifischen Angeboten für eine generelle Qualitäts- und Erfolgskontrolle von Gründungsberatung und -förderung und gendersensibles Wissen für Akteure.“ (S. 185-187). Für sie kann durch das gendersensible Wissen, das männlich-konnotierte Bild abgelöst und somit auch Gründungsinteressierte Frauen optimal beraten werden.
Was ist also zu tun? Einige Praxis-Tipps für BeraterInnen
- Das gesamte Beratungspersonal – Berater und Beraterinnen – müssen zum einen bereit sein, an Maßnahmen zur Gendersensibilisierung teilzunehmen, zum anderen ihre Fälle in einer kollegialen Fallberatung kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren.
- Zudem sollte der gründungsinteressierten Frau die Möglichkeit geboten werden, sich an eine Gründungsberaterin zu wenden, falls sich diese mit ihren Anliegen bei einer Beraterin besser aufgehoben füllt. Dies kann in Form einer Abfrage, mit einem vorab vorbereiteten Anmeldeformular, bei der Anmeldung für eine (Erst-)Beratung erfolgen.
- Um den ersten Schritt in die richtige Richtung zu tun, können Sie sich das einführende Video "Understanding unconscious bias" der Wissenschaftsakademie The Royal Society anschauen.
Fazit
Studien zeigen, dass Frauen, insbesondere in der Frühphase ihrer Gründung, gern auf externe Angebote zugreifen. Dazu gehören auch Gründungsberatungen. Vor diesem Hintergrund ist eine Weiterbildung zu Themenkomplexen Gender- und Diversität für Berater*innen empfehlenswert. Außerdem sollte stets die Möglichkeit eine*r Berater*in-Wahl seitens der gründungsinteressierten Person bestehen.
Literaturangaben & Empfehlungen
Adler, A., & Halbfas, B. (2019). Start-up counselling under the magnifier—the prevailing practices of doing gender. Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 26, 21-34.
Halbfas, B., Adler, A., & Arich-Gerz, B. (2020). Sprachliche Diskriminierung in der Gründungsberatung. Sprache im Beruf, 3(1), 18-39.
Schnell, C. (2009). Gendersensible Gründungsberatung – Gründe, Reichweiten und Grenzen. In K. Anderseck & S.A. Peters (Hrsg.), Gründungsberatung. Beiträge aus Forschung und Praxis (S. 176–191).
Stuttgart: ibidem.
Schubert, F. C., Rohr, D., Zwicker-Pelzer (2019). Beratung. Grundlagen, Konzepte, Anwendungsfelder. Springer Fachmedien Wiesbaden.
Widerstedt, B., Månsson, J., & Rosdahl, J. (2018). A warm welcome? Access to advisory services for men and women. Economic Analysis and Policy, 58, 100–110.
Yazdanfar, D., & Abbasian, S. (2015). Gender and the use of external business advice: a Swedish study. International Journal of Gender and Entrepreneurship, 7(1), 105–124.
Autorin
Jessica Langolf
Stand: September 2023