„Soziale Einrichtungen reformieren“


 

Wege aus der digitalen Steinzeit

Die Digitalisierung sozialer Einrichtungen geht in Deutschland nur langsam voran. Tal Pery, Dozent am Campus Weiterbildung der HAW Hamburg erläutert, wie Mitarbeitende in sozialen Organisationen von effizienteren Workflows profitieren können.

Herr Pery, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Digitalisierung sozialer Einrichtungen. Was können Mitarbeitende in Kitas, Jugendhilfeträgern oder Pflegeheimen in Ihrem Seminar mitnehmen?

Tal Pery: Ich zeige ihnen zunächst, wie sie von einer Digitalisierung ihrer Organisation profitieren können. Wichtigstes Argument ist hier, dass die Arbeit vom Menschen am Menschen wegen bürokratischer Vorgaben oft zu kurz kommt. Komplizierte Dokumentationspflichten und andere Vorgaben der Kostenträger nehmen viel Zeit in Anspruch. Ich muss ja alle Handlungen und Gespräche schriftlich festhalten. Hier sage ich: Durch die Digitalisierung gewinnt ihr wertvolle Zeit für den Kern Eurer Arbeit, denn sie beschleunigt und automatisiert vieles weg, was euch nervt.

Können Sie hier konkrete Beispiele nennen?

Ja, es gibt wirklich gute Softwarelösungen für verschiedene Bereiche, zum Beispiel Kitas. In den Kitas laufen morgens oft die Telefone heiß, weil Eltern ihre Kinder wegen Krankheit abmelden wollen oder andere Anliegen haben. Da kommt oft keiner durch. Als Alternative bietet sich eine Kita-Software an. Hier kann ich über eine App wichtige Prozesse abbilden, darunter Check in und Check out meines Kindes. Es gibt auch ein Gruppentagebuch, eine digitale Sprachentwicklungsdokumentation und viele andere nützliche Features, mit denen ich die Eltern über den Alltag in der Kita informieren kann. So sind die Eltern, gerade wenn sie viel beschäftigt sind, auch ein Stück weit in den Tagesablauf ihrer Kinder involviert. So erübrigen sich auch viele nicht-pädagogische Fragen, die Eltern vielleicht an das Personal hätten. Auch das spart Zeit und Nerven.

Wie kann ich mit Hilfe digitalisierter Prozesse die Jugendhilfe effizienter gestalten?

Hier muss ich die Arbeit mit dem Klienten oder der Klientin dokumentieren. Ich werde nicht pro Tag bezahlt, sondern kann nur wirklich geleistete Beratungsgespräche abrechnen. Mit Hilfe des digitalen Workflows kann direkt aus den Unterlagen der Beratungsleistungen die Komplettabrechnung gegenüber den jeweiligen Jugendämtern generiert werden. Das spart nicht nur Zeit, sondern sorgt auch für maximale Transparenz. Nichts geht verloren, ich kann vor allem auch leicht nach Dokumenten suchen. Und auch hier gilt: Ich gewinne Zeit für meine Arbeit am Menschen.

Was sind die größten Hürden, um diese und andere digitalen Prozesse zu implementieren?

Ein Hauptgrund, weshalb die Digitalisierung oft nur schleppend vorangeht, ist die Sorge vieler Mitarbeitender vor dieser Veränderung. Oft fürchten sie, dass sie es nicht können oder nicht schaffen. Viele verbrämen diese Angst, indem sie sich auf den Datenschutz berufen, der mit einer Digitalisierung nicht möglich sei.

Wie nehmen Sie diesen Mitarbeitenden die Angst?

Ich versuche, Ihnen die Vorteile vor Augen zu führen. Oft ist es sinnvoll, gerade die besonders skeptischen unter den Mitarbeitenden in Arbeitsgruppen miteinzubinden, wenn es um die Gestaltung der digitalen Zukunft geht. Hier biete ich einen so genannten „Einführungsblumenstrauß“ aus

Information, Bottom-Up-Entscheidungen, Schulungen, Hilfsvideos, Buddy-Systeme, Hotline und anderen unterstützenden Maßnahmen an, um die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit bei der digitalen Transformation zu stärken.

Wie begegnen Sie den Skeptikern, die sich auf die Gefährdung des Datenschutzes berufen?

Grundsätzlich gibt es Möglichkeiten, die Digitalisierung auch datenschutzkonform zu gestalten. Da ist bei der Auswahl der Software ein Augenmerk drauf zu legen, aber auch bei der Gestaltung interner Prozesse und Einhaltung von Standards.

ChatGPT darf man hier beispielsweise nicht nehmen, weil die die Infos nutzen und personenbezogene Daten speichern könnten.

Welche Rolle könnte ChatGPT bei der Digitalisierung sozialer Einrichtungen spielen?

Ich halte es für eine Zeitenwende in der Digitalisierung, die nächste große Neuerung nach dem iPhone. Wir werden uns in zehn Jahren fragen, wie wir VOR ChatGPT – stellvertretend für KI-Anwendungen - gearbeitet haben. Hiermit lassen sich viele Tätigkeiten im Rahmen sozialer Arbeit extrem beschleunigen, was wiederum mehr Zeit für die Arbeit am und mit Menschen bedeutet. Um hier einige Beispiele zu nennen: Dokumentationen „reinsprechen“, die transkribiert und in die richtige Form/Formular nach Vorgaben des Mittelgebers umformuliert werden - oder auch Stellenbeschreibungen können mit der Software in kürzester Zeit erstellt werden. Im Rahmen der Jugendarbeit etwa kannst mit der KI beispielsweise die pädagogische Entwicklungsdokumentation in fünf Minuten erledigen, was früher mindestens eine halbe Stunde gedauert hätte.

Sie entwickeln ja Digitalisierungsstrategien für die jeweiligen Organisationen. Wie gehen Sie hier vor?

Es geht im Prinzip über die klassische Soll-Ist Analyse. Einfach gesagt: Ich schaue mir an, wo ich stehe – also häufig in der digitalen Steinzeit – und entwickle daraus eine Roadmap für den Weg in die Zukunft. Bei der Bestandsaufnahme und Zielformulierung muss ich vor allem die Fachbereiche abholen, die Akzeptanz der Mitarbeitenden sicherstellen, sie ggf. in die Entwicklung der Strategie einbinden. Erst dann kann ich in die Umsetzung gehen. Das erfordert viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Aber am Ende sind sich alle einige: Es hat sich gelohnt.


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